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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Iphigenie in Aulis – Teil 1

Menelaus.
 Ich übernahm es, weil’s
mir so gefiel, denn deiner Knechte bin
ich keiner[1].

Agamemnon.
 Unerhörte Dreistigkeit!
Bin ich nicht Herr mehr meines Hauses?

Menelaus.
 Höre
Sohn Atreus. Festen Sinnes bist du nicht;

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heut’ willst du dieses, gestern war es jen’s

und etwas anders ist es morgen.

Agamemnon.
 Scharfklug
das bist du! Unter vielen schlimmen Dingen ist
das schlimmste eine scharfe Zunge.

Menelaus.
Ein schlimm’res ist ein wankelmüth’ger Sinn,

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denn der ist ungerecht und undurchschaulich

den Freunden. Den Beweis will ich gleich führen.
Laß nicht, weil jezt der Zorn dich übermeistert,
die Wahrheit dir zuwider seyn. Groß Lob
erwarte nicht. Ist jene Zeit dir noch

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erinnerlich, da du der Griechen Führer

in den Trojanerkrieg zu heissen branntest?


  1. [61] Weil es mir so gefiel – denn deiner Knechte bin ich keiner.) Dieser Sinn schien mir den Worten des Textes angemessener und überhaupt griechischer zu seyn, als welchen Brumoy und andre Uebersetzer dieser Stelle geben. Ma volonté est mon droit. Est-ce à vous, à me donner la loi? Nicht doch! So konnte Menelaus nicht auf den Vorwurf antworten, den ihm Agamemnon macht, was er nötig habe, seine (Agamemnons) Angelegenheiten zu beobachten, zu bewachen? (Φυλασσειν). Ich hab’ es nicht nöthig, antwortet Menelaus, denn ich bin nicht dein Knecht. Ich hab’ es gethan, weil es mir so gefiel, quia voluntas me vellicabat. Auch mußte Brumoy in der Frage schon dem griechischen Texte Gewalt anthun, um seine Antwort heraus zu bringen. De quel droit, je vous prie, entrez-vous dans mes sécrets sans mon aveu? Im Text heißt es bloß: Was hast du meine Angelegenheiten zu beobachten? Im Französischen ist die Antwort trotzig, im Griechischen ist sie naiv.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)