Seite:De Thalia Band1 Heft3 116.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

Willst du dich überzeugen, mein Raphael, so forsche rükwärts. Jeder Zustand der menschlichen Seele hat irgend eine Parabel in der physischen Schöpfung, wodurch er bezeichnet wird, und nicht allein Künstler und Dichter, auch selbst die abstraktesten Denker haben aus diesem reichen Magazine geschöpft. Lebhafte Thätigkeit nennen wir Feuer, die Zeit ist ein Strom der reissend von hinnen rollt, die Ewigkeit ist ein Zirkel, ein Geheimniß hüllt sich in Mitternacht, und die Wahrheit wohnt in der Sonne. Ja ich fange an zu glauben, daß sogar das künftige Schiksal des menschlichen Geistes im dunkeln Orakel der körperlichen Schöpfung vorher verkündigt ligt. Jeder kommende Frühling der die Sprößlinge der Pflanzen aus dem Schoose der Erde treibt, gibt mir Erläuterung über das bange Räzel des Todes, und widerlegt meine ängstliche Besorgniß eines ewigen Schlafs. Die Schwalbe die wir im Winter erstarret finden und im Lenze wieder aufleben sehen, die todte Raupe, die sich als Schmetterling neu verjüngt in die Luft erhebt, reichen uns ein treffendes Sinnbild unsrer Unsterblichkeit.

Wie merkwürdig wird mir nun alles! – Jezt Raphael, ist alles bevölkert um mich herum. Es gibt für mich keine Einöde in der ganzen Natur mehr.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)