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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

anbetete. Tausend Dinge waren mir so ehrwürdig, ehe deine traurige Weisheit sie mir entkleidete. Ich sah eine Volksmenge nach der Kirche strömen, ich hörte ihre begeisterte Andacht zu einem brüderlichen Gebet sich vereinigen – zweimal stand ich vor dem Bette des Todes, sahe zweimal – mächtiges Wunderwerk der Religion! – die Hofnung des Himmels über die Schrökniße der Vernichtung siegen und den frischen Lichtstral der Freude im gebrochnen Auge des Sterbenden sich entzünden. Göttlich, ja göttlich muß die Lehre sein, rief ich aus, die die Besten unter den Menschen bekennen, die so mächtig siegt, und so wunderbar tröstet. Deine kalte Weisheit löschte meine Begeisterung. Eben so viele sagtest du mir drängten sich einst um die Irmensäule und zu Jupiters Tempel, eben so viele haben eben so freudig ihrem Brama zu Ehren den Holzstoß bestiegen. Was du am Heidenthum so abscheulich findest, soll das die Göttlichkeit deiner Lehre beweisen?

Glaube niemand als deiner eignen Vernunft, sagtest du weiter. Es giebt nichts heiliges als die Wahrheit. Was die Vernunft erkennt, ist die Wahrheit. Ich habe dir gehorcht, habe alle Meinungen aufgeopfert, habe gleich jenem verzweifelten Eroberer alle meine Schiffe in Brand gestekt, da ich an dieser Insel landete, und alle Hofnung zur Rükkehr vernichtet. Ich kann mich nie mehr mit einer Meinung versönen, die ich einmal belachte. Meine Vernunft ist mir jezt alles, meine einzige Gewährleistung für Gottheit,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)