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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

Gemahl er als Diener seiner Vergnügungen brauchte. Seine ganze Freigebigkeit theilte sich zwischen den Klöstern und seine Konkubinen. Uebrigens wandte er alles an, um seine natürlichen Töchter allen Augen zu verbergen. Er begrub sie lebendig in Klöstern, und seine tiefe Heuchelei lies es ihm nie an Kunstgriffen fehlen, seine Laster zu bemänteln.

Dieser Monarch kam an die Regierung in dem schönsten ruhmvollsten Zeitpunkt Spaniens, da der Stolz seines Volkes es über alle andere Völker erhob. Aber Philipp der Zweite vergas seine Stärke, und verschwendete an spizfündige Unterhandlungen, an Intriguen, die einander ewig durchkreuzten, eine wahre und ausgebreitete Macht. Diese unbeständige, hin und her schwebende Politik schickt sich für kleine Republiken, für eingeschränkte Staaten; aber große, wichtige Reiche müssen diesen Kunstgriffen entsagen; kühne Gedanken allein und die Gewalt der Waffen müssen sie zu ihrem Zweke führen.

Die Verstellung ist freilich einem Fürsten zuweilen nöthig: die Leidenschaften um ihn herum sind zu heftig, als daß er ihnen immer offen entgegenwürken könnte. Aber Philipp der Zweite übte Betrug, nicht Verstellung. Er war für diesen großen Zeitpunkt nicht geboren; Spanien brauchte einen tiefblikenden Geist; Philipps Geist war blos verschlagen.

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft2_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)