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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

aber mein böses Herz hatte meine Vernunft angestekt. Tränen, wie ich sie nie geweint hatte, liefen über meine Baken.“

„Der Knabe weiß nicht wer ich bin noch woher ich komme, sagte ich halb laut zu mir selbst, und doch meidet er mich, wie ein schändliches Thier. Bin ich denn irgendwo auf der Stirne gezeichnet, oder habe ich aufgehört, einem Menschen ähnlich zu sehen, weil ich fühle, daß ich keinen mehr lieben kann?“ – Die Verachtung dieses Knaben schmerzte mich bitterer, als dreijähriger Galliotendienst, denn ich hatte ihm Gutes gethan, und konnte ihn keines persönlichen Haßes beschuldigen.“

„Ich sezte mich auf einen Zimmerplaz, der Kirche gegenüber, was ich eigentlich wollte, weiß ich nicht; doch ich weiß noch, daß ich mit Erbitterung aufstand, als von allen meinen vorübergehenden Bekannten keiner mich nur eines Grußes gewürdigt hatte, auch nicht einer. Unwillig verließ ich meinen Standort, eine Herberge aufzusuchen; als ich an der Eke einer Gaße umlenkte, rannte ich gegen meine Johanne. Sonnenwirth!“ schrie sie laut auf, und machte eine Bewegung mich zu umarmen; „Du wieder da, lieber Sonnenwirth, Gott sei Dank, daß du wiederkömmst!“ Hunger und Elend sprach aus ihrer Bedekung, eine schändliche Krankheit aus ihrem Gesichte, ihr Anblik verkündigte die verworfenste Kreatur, zu der sie erniedrigt war. Ich ahndete schnell, was hier geschehen seyn

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft2_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)