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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

die du noch[1] in der Ammenstube machtest.
Als du und ich, zween Knaben wilder Art,
so brüderlich zusammen aufgewachsen,
als mein Gewissenswurm kein andrer war,
als mich von dir beschämt zu sehn[2], ich endlich
mich kühn entschloß, dich gränzenlos zu lieben,
weil mich der Mut verließ, dir gleich zu seyn.
Da fieng ich an, mit tausend Zärtlichkeiten
und warmer Bruderliebe dich zu quälen,
Du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück.
Ich stand, und sah den Kuß, wornach ich geizte,
vorbei an mir auf fremde Wangen fallen,
oft stand ich da, und – doch, das sahst du nie –
und heiße schwere Tränentropfen hiengen
in meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend,
Vasallenkinder in die Arme drücktest.
„Warum nur diese? rief ich weinend aus,
bin ich dir nicht auch herzlich gut?“ – Du aber,
du schieltest mich bedaurend an: „Nimm du
mit deinem Tron vorlieb – – Monarchenknabe!“

Marquis.
O stille, Prinz, von diesen kindischen
Geschichten, die mich jezt noch schaamroth machen.

Karlos.
Ich hatt es nicht um dich verdient. Verschmähen,
zerreißen konntest du mein Herz, doch nie
von dir entfernen – dreimal wiesest du
den Fürsten von dir, dreimal stand er wieder


  1. Vorlage: noch ist einmal zu viel (Berichtigung. Siehe S. 200)
  2. Vorlage: als mich von dir zu sehn (Berichtigung. Siehe S. 200)
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft1_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)