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Maria Janitschek: Stummer Kampf

»Sie mochte Thora nicht zur Hand sein, sondern tanzte und sang draussen umher. Gegen Mittag kam Svend vom Bernsteinhof herüber. Was habt ihr für ein Tiriliren im Hause? fragte er. Ist’s ein Vogel oder eine Flöte, die da singt? Kein’s von Beiden, sondern meiner Grossmutter Bruderkind ist’s, das da singt, sagte ich und deutete auf sie. Sie kam eben herbei. Vater folgte ihr. Er hob die Faust auf, sie aber fiel ihm in den Arm und bettelte, dass er ihr nichts zu Leid thue. Sie fuhr mit der Hand über seine Wange und lächelte ihn an. Da wurde er ganz still. Svend ging ins Haus. Mein Vater sagte: Die Wellen können aber doch lauter singen als du. Mir kam vor, er hätte aus dem Keller heraufgesprochen, weil es so tief klang. Aber er stand neben ihr. Da rief sie: Das möchte ich versuchen. Ich muss hinausfahren, sagte er hierauf und ging vor das Haus. Sie bat: Nimm mich mit! Er antwortete nicht, hob sie aber ins Boot und ruderte hinaus.«

Es ist todtenstill, als der Knabe ausgesprochen hat. Vom Herde kommt ein geheimnissvolles Raunen und Flüstern, und der Wind schlägt ans Fenster.

Da dröhnt es draussen im Flur wie von schweren, schlürfenden Tritten.

»Ulf,« murmelt der Greis. Niemand wagt aufzustehen, obgleich sie ihr Essen beendet haben Eine lange Pause.

Die Schritte sind verstummt, Alles bleibt still draussen.

»Ulf!« ruft der Alte mit mächtiger Stimme. Keine Antwort. »Hole deinen Vater!« Der älteste Knabe erhebt sich gehorsam und eilt hinaus. Auch er kehrt nicht wieder. Und nun stehen Alle zugleich auf, wie unter einer plötzlichen Eingebung. Ohne ein Wort zu wechseln, treten sie hinaus, zuletzt mit gesenktem Kopf die Mutter der Kinder. Nur Thorwalt bleibt bewegungslos auf seinem Platze sitzen.

Von draussen dringt geheimnissvolles Flüstern herein, als ob keiner wagte, laut zu sprechen. Dann öffnet sich schwerfällig die Thüre. Ulf tritt herein.

Seine Kleider tropfen, sein Gesicht ist weiss wie der Schaum auf den Wogen draussen. Er bleibt beim Eingang stehen, ohne die Kraft oder den Muth zu finden, näher zu treten. Thorwalt erhebt sich.

»Wo ist die Dirne?«

»Das Boot ist gekentert, sie ist ertrunken.«

Aus dem schneeweissen Gesichte richten sich zwei starre, brennende Augen in die des Alten.

Der entgegnet nichts, streicht sich durch den Bart und schreitet langsam hinaus.

Ulf ist allein. Seine Blicke suchen einen Stuhl am Tische, dann schleppt er sich vor den Herd und blickt in die Flammen. Sie steigen ruhig und kerzengerade empor.

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Maria Janitschek: Stummer Kampf. Wiener Rundschau, Wien 1. März 1897, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Stummer_Kampf_(Janitschek).djvu/006&oldid=- (Version vom 31.7.2018)