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den er anfänglich gar nicht einbekennen wollte. Er kann offenbar gar nicht anders als Widerstand leisten.

Es ist merkwürdig, hinter welchen Ausflüchten sich dieser Widerstand häufig verbirgt. „Ich bin heute zerstreut, mich stört die Uhr oder das Clavierspiel im Nebenzimmer.“ Ich habe gelernt, darauf zu antworten: Keineswegs, Sie stossen jetzt auf etwas, was Sie nicht gerne sagen wollen. Das nützt ihnen nichts. Verweilen Sie nur dabei. – Je länger die Pause zwischen dem Druck meiner Hand und der Aeusserung des Kranken ausfällt, desto misstrauischer werde ich, desto eher steht zu befürchten, dass der Kranke sich das zurechtlegt, was ihm eingefallen ist, und es in der Reproduction verstümmelt. Die wichtigsten Aufklärungen kommen häufig mit der Ankündigung als überflüssiges Beiwerk, wie die als Bettler verkleideten Prinzen der Oper: „Jetzt ist mir etwas eingefallen, das hat aber nichts damit zu schaffen. Ich sage es Ihnen nur, weil Sie alles zu wissen verlangen.“ Mit dieser Einbegleitung kommt dann meist die langersehnte Lösung; ich horche immer auf, wenn ich den Kranken so geringschätzig von einem Einfall reden höre. Es ist nämlich ein Zeichen der gelungenen Abwehr, dass die pathogenen Vorstellungen bei ihrem Wiederauftauchen so wenig bedeutsam erscheinen; man kann daraus erschliessen, worin der Process der Abwehr bestand; er bestand darin, aus der starken Vorstellung eine schwache zu machen, ihr den Affect zu entreissen.

Die pathogene Erinnerung erkennt man also unter anderen Merkmalen daran, dass sie vom Kranken als unwesentlich bezeichnet und doch nur mit Widerstand ausgesprochen wird. Es gibt auch Fälle, wo sie der Kranke noch bei ihrer Wiederkehr zu verleugnen sucht; „Jetzt ist mir etwas eingefallen, aber das haben Sie mir offenbar eingeredet“, oder: „Ich weiss, was Sie sich bei dieser Frage erwarten. Sie meinen gewiss, ich habe diess und jenes gedacht“. Eine besonders kluge Weise der Verleugnung liegt darin, zu sagen: „Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen; aber das kommt mir vor, als hätte ich es willkürlich hinzugefügt; es scheint mir kein reproducirter Gedanke zu sein“. – Ich bleibe in all’ diesen Fällen unerschütterlich fest, ich gehe auf keine dieser Distinctionen ein, sondern erkläre dem Kranken, das seien nur Formen und Vorwände des Widerstandes gegen die Reproduction der einen Erinnerung, die wir trotzdem anerkennen müssten.

Bei der Wiederkehr von Bildern hat man im Allgemeinen leichteres Spiel als bei der von Gedanken; die Hysterischen, die zumeist Visuelle sind, machen es dem Analytiker nicht so schwer wie die Leute mit

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_245.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)