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„Warum sind Sie denn so erschrocken, wie Sie die Beiden beisammen gefunden haben? Haben Sie denn etwas verstanden? Haben Sie sich etwas gedacht, was da geschieht?“

„O nein, ich hab’ damals gar nichts verstanden, ich war erst 16 Jahre alt. Ich weiss nicht, worüber ich so erschrocken bin.“

„Fräulein Katharin’, wenn Sie sich jetzt erinnern könnten, was damals in Ihnen vorgegangen ist, wie Sie den ersten Anfall bekommen haben, was Sie sich dabei gedacht haben, dann wäre Ihnen geholfen.“

„Ja, wenn ich könnt’, ich bin aber so erschrocken gewesen, dass ich alles vergessen hab’.“

(In die Sprache unserer „vorläufigen Mittheilung“ übersetzt, heisst das: Der Affect schafft selbst den hypnoiden Zustand, dessen Producte dann ausser associativem Verkehr mit dem Ichbewusstsein stehen.)

„Sagen Sie, Fräulein, ist der Kopf, den Sie immer bei der Athemnoth sehen, vielleicht der Kopf von der Francisca, wie Sie ihn damals gesehen haben?“

„O nein, der war doch nicht so grauslich, und dann ist es ja ein Männerkopf.“

„Oder vielleicht vom Onkel?“

„Ich hab’ sein Gesicht gar nicht so deutlich gesehen, es war zu finster im Zimmer und warum sollt’ er denn damals ein so schreckliches Gesicht gemacht haben?“

„Sie haben Recht.“ (Da schien nun plötzlich der Weg verlegt. Vielleicht findet sich in der weiteren Erzählung etwas.)

„Und was ist dann weiter geschehen?“

„Nun, die zwei müssen Geräusch gehört haben. Sie sind bald herausgekommen. Mir war die ganze Zeit recht schlecht, ich hab’ immer nachdenken müssen, dann ist zwei Tage später ein Sonntag gewesen, da hat’s viel zu thun gegeben, ich hab’ den ganzen Tag gearbeitet und am Montag früh, da hab’ ich wieder den Schwindel gehabt und hab’ erbrochen und bin zu Bett geblieben und hab’ drei Tage fort und fort gebrochen.“

Wir hatten oft die hysterische Symptomatologie mit einer Bilderschrift verglichen, die wir nach Entdeckung einiger bilinguer Fälle zu, lesen verstünden. In diesem Alphabet bedeutet Erbrechen Ekel. Ich sagte ihr also: „Wenn Sie drei Tage später erbrochen haben, so glaub’ ich, Sie haben sich damals, wie Sie in’s Zimmer hineingeschaut haben, geekelt.“

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)