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Glocke mit einem Tuch bedeckt, und an der einen Seite hing die Kette los herunter.

Noch immer war Todtenstille; auch das Kind schien zu schlafen. Ich faßte die Ladenthür: sie war verschlossen; aber als ich mich dann wandte – die Thür der Wohnstube war nur angelehnt, und ich öffnete sie noch etwas weiter, so daß ich Anna’s Lager übersehen konnte. Die Nachtlampe knisterte nur noch, aber es drang schon Morgenhelle herein; das Bett war leer, die Decke hing halb herausgerissen über die Kante; aus der Kammer nebenan hörte ich das Riekchen schnarchen.

Und im selben Augenblick, Herr Nachbar, wußte ich Alles, Alles! Wie ein Krach war es durch meine alten Knochen hingefahren; baarhäuptig, wie ich war, den Revolver in der Hand, lief ich aus dem Hause, aus einer Straße in die andre, mir war, als ob ich fortgetrieben würde; und endlich, da lag die Brücke und das Fleth vor mir, wo einst mein armer Rick sein bischen Leben eingebüßt hatte.

Das trübe Wasser zog langsam nach Osten unter der Brücke durch, und der erste Dunst des Morgenroths schillerte wie Blut darauf; die Rückseiten der hohen Speicher standen rechts und links in halbem Schatten; es war ein eiskalter Frühmorgen

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Theodor Storm: John Riew’. Berlin: Paetel, 1886, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_John_Riew_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)