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muß ich ihr den Willen thun. Geduldet Euch, die Braut wird bald erscheinen!“

Rolf Lembeck schwieg; und unter all den Menschen war es wieder lautlos still.

Da nahte sich ein Rauschen hinter den geschlossenen Thoren, ein Zug von langsamen Schritten wurde hörbar, und indem die Thore sich öffneten, scholl, von jungen Frauenstimmen gesungen, ein De profundus wie von den Sternen nieder.

Ein Schauer schlug Rolf Lembeck durch die Glieder; aber schon hatte der Zug der Jungfrauen die Schwelle überschritten. Er streckte sich und hob den Kopf; so stand er wie erstarrt, und nur sein Auge wurde wie das eines Raubvogels. Er sah die singenden Jungfrauen eine Todtenlade von den Schultern heben und sie auf die Sammet-Bühne niederlassen; er sah in weißen Sterbgewändern ein Weib – nein, nicht ein Weib; aus weißen Binden sah ein todtes Kinderantlitz – da ließ der Bann von ihm: ein furchtbarer Schrei scholl durch die Halle. Der Gesang riß ab, und mit erhobenen Armen brach Rolf Lembeck durch die Menschen; er stürzte am Sarge nieder, er preßte seine Lippen auf das todte Antlitz seiner Liebe: „O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!“

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Theodor Storm: Ein Fest auf Haderslevhuus. Berlin: Paetel, 1886, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Fest_auf_Haderslevhuus_216.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2016)