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„Mein Vater!“ rief sie.

„Ich bin bei Dir, Kind!“ sprach der Schloßhauptmann, der die Nacht am Bette gewacht hatte.

„Hör!“ sagte sie und hob einen Finger ihrer bleichen Hand. „Ueber uns, da oben aus der Hausfirst, sang die Amsel!“

Er schüttelte den Kopf. „Du irrst Dich, Dagmar; im September singt keine Amsel mehr; die Blätter fallen schon.“

„Ja, horch nur!“ sagte sie wieder. „Ich hör’s; sie singet mir den Tod an!“ Und sie streckte sich lang auf ihrem Lager und faltete die Hände unter ihrer Brust.

„Mein Kind, Du weißt, sie singet auch dem Leben; aber ich höre keine Amsel.“

Sie antwortete nicht; nur ihr Haupt, das mit geschlossenen Augen auf dem Kissen lag, bewegte sich wie verneinend.

Der Ritter sah auf sein Kind und wie in schweren Zügen die kleine Brust sich hob und senkte; dann ward es stiller. Da streckte sie plötzlich wie in heftigem Gebet die Arme vor: „Nein, nein! O, noch nicht!“ rief sie angstvoll; „nur noch ein Weilchen!“ Dann wandte sie das Haupt, und mit weit aufgerissenen Augen blickte sie auf ihren Vater.

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Theodor Storm: Ein Fest auf Haderslevhuus. Berlin: Paetel, 1886, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Fest_auf_Haderslevhuus_200.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2016)