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ein paar Thränen, die ihr aus den Augen fielen; dann kehrte sie um und suchte bei der alten Schaffnerin ihren stillen Unterschlupf.

Nur einmal, da bei seinem Vorübergehen das blasse Gesichtlein ihn so stumm und flehend angesehen hatte, ging er auf seinem Todtengang nicht weiter. Er gedachte plötzlich einer Base seines todten Weibes, die einst in ihrer Jugend am Thüringer Hofe auf kurz Zeit zu den gelehrten Frauen gezählt worden sei; denn sie verstand zu lesen und zu schreiben, hatte sogar den Virgilium studirt; auch Paramentenstickerei und derlei Künste hatte sie verstanden. Sie war nun alt und lebte in einer kleinen Stadt von einem Rentlein, welches ihr die Sippe gab.

Der Ritter ging in sein Gemach; er setzte sich an seinen Schreibtisch und lud die Base ein, zu Zucht und Lehre Dagmars in sein Haus zu kommen. Und nicht lange, so war sie mit ihrem kleinen Hausrath eingerückt; darunter fanden sich ein Päckchen Pergamentrollen und beschriebener Blätter, eine sauber geschnitzte Mutter Gottes und eine kleine Anzahl von Glasscheiben, für welche man auf ihr Verlangen das sonst nur mit dünnen Därmen bespannte Fenster ihrer Kammer zurichtete.

Seitdem lebte und schlief Dagmar mit der Base.

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Theodor Storm: Ein Fest auf Haderslevhuus. Berlin: Paetel, 1886, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Fest_auf_Haderslevhuus_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)