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die vis inertiae der rohen Natur vertreiben und bezwingen zu helfen – das Kapitel ist weitläufig – es besteht aber die vis inertiae, die Erbsünde des menschlichen Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch – was nun gar der norddeutsche Bauer – Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt, fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo, Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hören und nicht hört, besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines eigenen Verstandes, seines eigenen Gefühls, seines eigenen Willens nur in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. – Der weichenden Kraft der Trägheit folgt, wie eine elastisch nachdrückende Feder, die allmählich hervorspringende Kraft der Thätigkeit. Diese soll beschäftigt werden, angemessenen Stoff finden, eine bestimmte Richtung erhalten. Das ist das Geschäft der Bildung im Positiven, das ist das Säen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von unfruchtbarer träger Last befreit, durchbrochen, gepflügt und gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich spürte. Mensch und Acker, diese beiden urältesten, natürlichsten und durch den religiösen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsächlich darin ähnlich, daß der Schöpfer über beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepflügt und dann gesäet – erst den starren trägen Zusammenhang der Oberfläche, der Gemüthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und – jedem Feld das seinige nach Art des Bedürfnisses, nach Güte und Beschaffenheit des Bodens[1].

Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein, lehrt denken, denken und abermals denken. Haltet


  1. Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem Spiel der Phantasie angehöriges hinzufügen, so vergliche ich den bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Ludolf Wienbarg: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?. Hoffmann und Campe, Hamburg 1834, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Platt_pflegen_(Wienbarg)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)