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Strümpfen dringt man nicht bis dahin. Wüßte man nur, begriffe man nur, wie es in deinem einfältigen Kopf zusteht und daß die hochdeutschen Wörter und die plattdeutschen Wörter, die du darin hast, sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht verstehn und sich im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die plattdeutschen Wörter sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter Vater, deine selige Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der Herr Pastor, der Herr Amtmann, vornehme Gäste, die dir allzuviel Ehre erweisen, in deinem schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu nehmen, Wörter in der Perrücke, in schwarzem Mantel, welche deine und deiner plattdeutschen Wort Familie Behaglichkeit stören, dich in deiner Luft beeinträchtigen, dir bald von Abgaben, bald von Tod und jüngsten Gericht vorsprechen, Grablieder über deinen Sarg singen werden, ohne sich über deine Wiege gebückt und Eia im Suse und andere Wiegenlieder gesungen zu haben. Armer Bauer, ich habe dich immer in Schutz genommen und diese Schrift, obgleich du sie nicht lesen wirst, ist eigentlich nur für dich und zu deinem Heil und Besten geschrieben. Viele Leute aus der Stadt klagen dich an, daß du trotz deiner Einfalt verschmizt bist, trotz deiner Rohheit nicht weniger als Kind der Natur bist, sie sagen, daß du dir eine und die andere Gewissenlosigkeit gar wenig zu Herzen nimmst. Aber ich habe ihnen immer geantwortet, unser Bauer hat nicht zu wenig Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen, ein hochdeutsches und ein plattdeutsches, und das eine ist ihm zu fein, das andere uns zu grob und dickhäutig. Zu diesem wird ihm in seinem eigenen Hause der Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und die Dogmatik; in dem einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid und Brusttuch so lange er lebt, in dem andern friert ihn und er hält es nur deswegen im Schrank, um damit einmal anständig unter die Schaar der Engel zu treten.

Ist ihm sein Verhältniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht vielleicht klarer geworden, als sein Verhältniß zur Kirche? Erwirbt er sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das

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Dr. Ludolf Wienbarg: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?. Hoffmann und Campe, Hamburg 1834, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Platt_pflegen_(Wienbarg)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)