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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

also keineswegs auf dem Interesse der Vernunft, daß recht gehandelt werde, sondern auf dem Interesse der Einbildungskraft, daß recht Handeln möglich sey, d. h. daß keine Empfindung, wie mächtig sie auch sey, die Freyheit des Gemüths zu unterdrücken vermöge. Diese Möglichkeit liegt aber in jeder starken Aeusserung von Freyheit und Willenskraft, und wo nur irgend der Dichter diese antrift, da hat er einen zweckmäßigen Gegenstand für seine Darstellung gefunden. Für sein Interesse ist es eins, aus welcher Klasse von Karakteren, der schlimmen oder guten, er seine Helden nehmen will, da das nämliche Maaß von Kraft, welches zum Guten nöthig ist, sehr oft zur Consequenz im Bösen erfodert werden kann. Wie viel mehr wir in ästhetischen Urtheilen auf die Kraft als auf die Richtung der Kraft, wie viel mehr auf Freyheit als auf Gesetzmäßigkeit sehen, wird schon daraus hinlänglich offenbar, daß wir Kraft und Freyheit lieber auf Kosten der Gesetzmäßigkeit geäußert, als die Gesetzmäßigkeit auf Kosten der Kraft und Freyheit beobachtet sehen. Sobald nämlich Fälle eintreten, wo das moralische Gesetz sich mit Antrieben gattet, die den Willen durch ihre Macht fortzureissen drohen, so gewinnt der Karakter ästhetisch, wenn er diesen Antrieben widerstehen kann. Ein Lasterhafter

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_070.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)