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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Scenen mahlte, und einheimische Thaten verewigte. Es ist nicht zu läugnen, daß die Poesie der Alten, dieses Umstandes halber, Wirkungen leistete, deren die neuere Poesie sich nicht rühmen kann – aber gehörten diese Wirkungen der Kunst und dem Dichter? Wehe dem griechischen Kunstgenie, wenn es vor dem Genius der neuern nichts weiter als diesen zufälligen Vortheil voraus hätte, und wehe dem griechischen Kunstgeschmack, wenn er durch diese historischen Beziehungen in den Werken seiner Dichter erst hätte gewonnen werden müssen. Nur ein barbarischer Geschmack braucht den Stachel des Privatinteresse, um zu der Schönheit hingelockt zu werden, und nur der Stümper borgt von dem Stoffe eine Kraft, die er in die Form zu legen verzweifelt. Die Poesie soll ihren Weg nicht durch die kalte Region des Gedächtnisses nehmen, soll nie die Gelehrsamkeit zu ihrer Auslegerinn, nie den Eigennutz zu ihrem Fürsprecher machen. Sie soll das Herz treffen, weil sie aus dem Herzen floß, und nicht auf den Staatsbürger in den Menschen, sondern auf den Menschen in dem Staatsbürger zielen.

Es ist ein Glück, daß das wahre Genie auf die Fingerzeige nicht viel achtet, die man ihm, aus besserer Meinung als Befugniß, zu ertheilen

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)