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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Aus diesem allen ergiebt sich denn, daß die moralische und die ästhetische Beurtheilung, weit


liegt bloß in der Verschiedenheit des Standpunkts, aus welchem beyde diesen Gegenstand betrachten. Seine bloße Schuldigkeit thun, hat allerdings nichts großes, und insofern das beßte, was wir zu leisten vermögen, nichts als Erfüllung, und noch mangelhafte Erfüllung, unserer Pflicht ist, liegt in der höchsten Tugend nichts begeisterndes. Aber bey allen Schranken der sinnlichen Natur dennoch treu und beharrlich seine Schuldigkeit thun, und in den Fesseln der Materie dem heiligen Geistergesetz unwandelbar folgen, dieß ist allerdings erhebend und der Bewunderung werth. Gegen die Geisterwelt gehalten ist an unsrer Tugend freilich nichts verdienstliches, und wieviel wir es uns auch kosten lassen mögen, wir werden immer unnütze Knechte seyn; gegen die Sinnenwelt gehalten ist sie hingegen ein desto erhabeneres Objekt. Insofern wir also Handlungen moralisch beurtheilen, und sie auf das Sittengesetz beziehen, werden wir wenig Ursache haben, auf unsere Sittlichkeit stolz zu seyn; insofern wir aber auf die Möglichkeit dieser Handlungen sehen, und das Vermögen unsers Gemüths, das denselben zum Grund liegt, auf die Welt der Erscheinungen beziehen, d. h. insofern wir sie ästhetisch beurtheilen, ist uns ein gewisses Selbstgefühl erlaubt, ja es ist sogar nothwendig, weil wir ein Principium in uns aufdecken,

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_064.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)