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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Treuhold. O, wie seyd Ihr doch so gut – so edel! – Die beyspiellose Bosheit Eurer unmenschlichen Söhne vermochte noch nicht, die Liebe des Vaters aus Eurem Herzen zu tilgen. Nein, so hoch vermag sich meine Seele nicht zu erheben. – Glühende Wuth rollt durch jede meiner Adern, wenn ich daran denke, wie Euer eigner Sohn Euch mit bübischer List gefangen nahm, als Ihr an der Spitze eines mächtigen Heeres ihm mit väterlicher Milde zum gütlichen Vergleich die Hand reichtet, und wie er selbst mit nie erhörter Unverschämtheit die Kaiserkrone von Eurem grauen Haupte, und den Reichsapfel aus Euren Händen riß. –

Heinrich. Laß uns das vergessen, lieber Treuhold! Vielleicht werden sie einst ihr Unrecht erkennen und bereuen. Mögen sie es doch förder glücklich genießen, was sie mir raubten. Ich vergönne es ihnen aus der Fülle meines Herzens: Denn ich sehne mich nach Ruhe. – Die Größe, das Glück der Menschen ist ein Schiff mit dem die Wellen des unbeständigen Schicksals spielen. – Siehst du dort in der Ferne die prächtigen Thürme, die ihre Häupter majestätisch zum Himmel empor heben?

Treuhold. Wohl seh’ ich sie. Es sind die Thürme des Doms zu Speyer.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)