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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

leidet, denn er läßt sich über seinen Gemüthszustand heraus wie der ruhigste Mensch, und die unaufhörliche Rücksicht auf den Eindruck, den er auf andere macht, erlaubt ihm nie, der Natur in sich ihre Freyheit zu lassen. Die Könige, Prinzeßinnen und Helden eines Corneille und Voltaire vergessen ihren Rang auch im heftigsten Leiden nie, und ziehen weit eher ihre Menschheit als ihre Würde aus. Sie gleichen den Königen und Kaisern in den alten Bilderbüchern, die sich mit samt der Krone zu Bette legen.

Wie ganz anders sind die Griechen und diejenigen unter den Neuern, die in ihrem Geiste gedichtet haben. Nie schämt sich der Grieche der Natur, er läßt der Sinnlichkeit ihre vollen Rechte, und ist dennoch sicher, daß er nie von ihr unterjocht werden wird. Sein tiefer und richtiger Verstand läßt ihn das Zufällige, das der schlechte Geschmack zum Hauptwerke macht, von dem Nothwendigen unterscheiden; alles aber, was nicht Menschheit ist, ist zufällig an dem Menschen. Der Griechische Künstler, der einen Laokoon, eine Niobe, einen Philoktet darzustellen hat, weiß von keiner Prinzeßin, keinem König und keinem Königsohn; er hält sich nur an den Menschen. Deßwegen wirft

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_369.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)