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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

Wenn ich nun eine Zeitlang mein Auge geweidet hatte an dem ewigen Leben der Natur, und es wieder zurückwarf auf das Werk von Menschenhänden, ach, Constantin, ich kann dir unmöglich schildern, was ich dann empfand. Tiefe Schwermuth ergriff mich, als ich die Bildsäulen der alten Pfalzgrafen und Churfürsten sah, womit eine Seite des Mittelgebäudes ausgeschmückt ist. Die Vergangenheit lebte vor meinen Augen und es zog vorüber wie der blutende König in Shakespears Macbeth. Ich erblickte die vom Sturm zerschmetterte Statue des unglüklichen Friedrichs und der schrekliche dreyßigjährige Krieg, mit allen Ungeheuern die er ausbrütete, stand in vollem Brande vor mir. Während ich nun dastand und in tiefe Traurigkeit versunken, das Schicksal menschlicher Größe beweinte, erscholl aus der Schloßkapelle, die noch ganz erhalten ist, ein feyerlicher Lobgesang zum Ruhm des Ewigen. Trompeten schmetterten, Pauken rollten und Orgeltöne durchzitterten die Ruinen rings umher. Der Uebergang meiner Phantasie von betäubender Schwermuth in süße religiöse Schwärmerey war für mich unbeschreiblich rührend und durchdringend. Es ward mir, als ob ich, einem fürchterlichen Sturme, dem sichtbaren Tode entrissen, an einer paradiesischen Insel landete, und hier sanft schlummernd, von

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_277.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)