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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

deren uraltes roth und grün gedecktes Thürmchen ich aus dem Dickigt des Waldes hervorschimmern sah. Feyerlich rollte der dumpfe Gesang in das Thal hinab, wo er sich mit dem Gesumme der Glocken vereinigte, und es ward mir als wandelte ich unter einem Haufen begeisterter Druiden, die mit herzerschütternder Poesie, mit stürmendem, Harfenklang den Gott ihrer Väter lobten. Alles Schöne und Erhabene, womit mich Ossian und die skandinarischen Barden je überraschten, glühte wieder in meiner heftig gereizten Phantasie. Aber ach! ein Waldbruder empfieng uns vor der Kapelle, und der größte Theil des Zaubers, der meine Sinne so angenehm umstrikte, schwand dahin, denn auf der Stirne dieses Menschen stand mit unverkennbaren Characteren eingegraben, das schreckliche Zeichen des Thiers. Weder die rührende Schönheit der Gegend, noch die freye, unbegränzte Aussicht in ein herrliches Land, hatten seine Wildheit mildern können. Häßliche Weiber schlichen in seine Zelle, Blicke der Verachtung folgten ihm, wo er gieng und stand. Ich vermochte es nicht auszuhalten, verließ Kapelle Waldbruder und Procession, irrte noch einige Zeit im Gebüsche herum, und kletterte endlich das Gebürg hinab, um auf der reizenden Bergstraße weiter nach Heidelberg zu

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)