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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

zu besiegen findet. Nachsicht verdient aber nur der Gehorsam, und Strenge kann nur die Widersetzung rechtfertigen.

Anmuth liegt also in der Freyheit der willkührlichen Bewegungen; Würde in der Beherrschung der unwillkührlichen. Die Anmuth läßt der Natur da, wo sie die Befehle des Geistes ausrichtet, einen Schein von Freywilligkeit; die Würde hingegen unterwirft sie da, wo sie herrschen will, dem Geist. Ueberall, wo der Trieb anfängt zu handeln, und sich herausnimmt, in das Amt des Willens zu greifen, da darf der Wille keine Indulgenz, sondern muß durch den nachdrücklichsten Widerstand seine Selbstständigkeit (Avtonomie) beweisen. Wo hingegen der Wille anfängt, und die Sinnlichkeit ihm folgt, da darf er keine Strenge, sondern muß Indulgenz beweisen. Dieß ist mit wenigen Worten das Gesetz für das Verhältniß beyder Naturen im Menschen, so wie es in der Erscheinung sich darstellet.

Würde wird daher mehr im Leiden (παθος); Anmuth mehr im Betragen (ηθος) gefodert und gezeigt; denn nur im Leiden kann sich die Freyheit des Gemüths, und nur im Handeln die Freyheit des Körpers offenbaren.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)