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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

Der Weg, der allenthalben schön und bequem ist, verstattet es, sich angenehmen Träumen, und süßen, mannichfaltigen und neuen Gedanken zu überlassen, die sich in Menge dem Geiste darbieten. Manchmal unterbrechen große, dem Donner gleiche, und so wie dieser, fortrollende Schläge den Traum, und verrathen, wenn man ihre Ursache kennt, wie groß die Eismassen sind, deren Herabfall ein solches Getöse hervorbringt. Die Größe der Gegenstände macht die Entfernung betrügerisch. Bey dem Eintritt in das Thal glaubt man in weniger als einer halben Stunde an das andre Ende zu kommen, und man braucht zwey Stunden, um nach Prieuré oder Chamouni zu gehn, das nicht einmal die Hälfte der Länge des Thals ist.“ Diese richtige Beschreibung las ich im Thale selbst, wo sie gewiß gemacht ist. Aber wie verschieden war der Eindruck, den sie vorher auf meinem Zimmer in Genf auf mich machte, von dem, den die Gegenstände, gegen welche ich sie nun verglich, mir einprägten! Diesmal widerfuhr mir, was mir selten oder gar nicht in meinem Leben begegnet ist. Alles, was sehr angepriesen wird, entspricht selten der gemachten Erwartung, und die gerühmte Sache bleibt hinter der vorgefaßten Vorstellung zurück. Nur hier übertrift die Natur die reichste Phantasie –

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)