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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

– Wer kennt nicht die Zauberinn Phantasie? wer weiß nicht, wie allmächtig sie das Leblose und das Lebendige in ihren Kreis hineinzieht, um das Ideal ihres Gemähldes zu vollenden? Jetzt schien die ganze wilde Gegend umher zu lächeln, und sogar die schwarzen Ruinen einer in dem nahen Walde liegenden uralten Felsenburg verloren in Fioretta’s Augen das Schauerliche, wovor sie sonst so oft gezittert hatte.

In dieser hohen Spannung süßer Empfindungen schreckte sie plötzlich das Geräusch eines seidenen Kleides, welches in dem langen Gange der zu ihrem Zimmer führte, an die Wand schlug. Fioretta schmiegte sich furchtsam an ihren Vater, und dieser wendete sich eben um, das kommende Abenteuer zu beobachten, als die schöne Signora Bianca durch die offene Thür, in seine Arme flog. Man wünschte sich gegenseitig einen guten Abend und es begann ein trauliches Gespräch über das bilderreiche Licht des Mondes und über die Feyer einer schönen Nacht. Eine Schwärmerey drängte nun die andre und die romantische Bianca ging bald über vom Schönen ins Erhabene und Schauerliche. Unvermerkt färbten sich die Waldruinen schwärzer in Fioretta’s Augen und das Flüstern des Abendwindes, der dann und wann über den langen, einsamen Gang hintanzte oder am Schloßgemäuer

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_392.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)