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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

da war er mir entwischt. Ich gab alle Hoffnung auf; aber bezaubert von diesem Menschen, wie es kaum ein Beispiel giebt, gieng ich noch lange nachher herum. – Alles dies war geschehen, noch ehe wir den Feldzug nach Potidäa machten, während dessen ich mit Sokrates gemeinschaftlich speiste. Auf diesem Feldzug zeigte er sich nun fürs erste viel ausdaurender, als ich und alle andre, in allen Strapazen. Waren wir irgendwo verlassen, und litten Mangel an Proviant wie es im Feldzuge bisweilen geschieht, so hielten es alle andern schlechter aus, als er. Dagegen war er auch der, dems am besten schmekte, wenns wieder Ueberfluß gab: und wenn ihn jemand zum Zechen nöthigte, selbst wenn er keine Lust dazu hatte, trank er doch alle andere zu Boden. Was aber am allermeisten zu verwundern ist, nie hat jemand den Sokrates betrunken gesehen; und davon wird er auch gleich hier wieder ein Beispiel ablegen. Gegen alle Angriffe des rauhen Winters, der in jenen Gegenden so heftig ist, zeigte er sich als einen wahren Helden. In der strengsten Kälte, wo sich jedermann zu Hause hielt und, wenn er ja heraus mußte, sich wenigstens über und über mit Kleidern bedeckte, und nicht bloß mit Schuhen sondern mit Filz und mit Pelzen seine Füsse verwahrte, sah man ihn in dem nämlichen Oberkleid, das er auch sonst zu tragen

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_378.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)