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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

an Vortreflichkeit alles zu übertreffen, daß man keinen Augenblick anstehen müßte, das zu befolgen, was aus diesem Innern hervorgebracht wird. Einst bildete ich mir ein, er sey durch meine Schönheit gefesselt, und that mir schon recht viel zu gut auf diesen Fang; denn ich dachte, wenn ich ihn nur erhören würde, so könnte ich sogleich alles von ihm erfahren, was er wüßte. Meiner Schönheit traute ich ein solches Wunder wohl zu. Dieser Voraussetzung gemäß schickte ich bey seinem nächsten Besuch meinen Bedienten weg, was ich vorher nie gethan hatte, und blieb mit ihm allein. – Die ganze Geschichte soll nun einmal vor euch an den Tag! Gebt nur Acht; und, wenn ich lüge, Sokrates, so weise mich nur gleich zurecht! – Ich war also jetzt mit ihm allein, und erwartete, daß er nun sogleich anfangen werde mit mir zu sprechen, wie ein Liebhaber unter vier Augen mit seinem Geliebten spricht, und freute mich schon: aber ich hatte mich ganz in meiner Erwartung betrogen. Er sprach mit mir wie sonst, brachte den Tag mit mir zu, und gieng dann weg. Ein andermal foderte ich ihn zu gymnastischen Uebungen mit mir auf; ich dachte, auf diesem Wege zum Ziel zu kommen. Wir hielten öfters solche Uebungen, er übte sich oft im Ringen mit mir, und wir waren dabey immer ohne Zeugen. – Allein, mit einem Wort, es half mir nichts.

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_372.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)