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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Sokrates, gehört zu den niedern Graden in der Philosophie der Liebe, in welchen du jezt eingeweiht bist. Das bisherige, wenn es recht verstanden wird, führt zu dem obersten und höchsten Grade. Ob du auch in diesen schon aufgenommen zu werden fähig bist, das weiß ich nicht. Inzwischen will ich dir doch auch das mittheilen, um es wenigstens an meinem guten Willen nicht fehlen zu lassen. Bemühe dich, es zu fassen, wenn du kannst. Wer in dieser Art von Liebe glüklich sein will, der muß als Jüngling schon an schönen Körpern Wohlgefallen finden. Wenn ihn sein guter Genius recht richtig führt, so wird er bei einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bei ihm schon allerhand schöne Gedanken entwickeln wird. Bald wird er aber bemerken, daß Schönheit des einen Körpers mit der Schönheit des andern verschwistert sei (denn wenn man einmal nach Schönheit, der Idee nach, streben will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerlei zu halten; dann wird er anfangen alle schöne Körper zu lieben, und die ausschliessende Neigung für einen einzelnen Körper für zu klein und unbedeutend zu halten. Ist er einmal dahin gelangt, so wird er sich leicht noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen als die Schönheit des Körpers. Findet er dann jemand mit Vorzügen der Seele begabt, obgleich

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_355.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)