Seite:De Neue Thalia Band2 251.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Irene.

Begreifst du was ein Mann vermag? es ist

165
die Lieb’ ihm nur ein zartes Lüftchen, das

den Lebensnachen leis’ umweht – ihn treibt
des Ruhmes Ruder rasch und ewig fort.
Die Flamme, die sein Wesen sanft erhellte,
trägt er ins wilde bunte Spiel der Welt,

170
und schnell verlodert sie – es schwärmen dort

in tausend Gegenständen die Gedanken,
verknüpfen, ordnen, scheiden; selten nur
blikt er in sich und seines Herzens Tiefe,
wo alle Schätze zarter Liebe ruhn.

175
Erinnrung nur erfrischt die zarten Blumen,

hält Liebe der Getrennten treu und fest.
Den engen Zirkel unsres Daseins füllt,
erwärmet unsres Herzens stilles Feuer,
in alles legten wir sein Bild, und allem

180
entstrahlt dies Bild. So sind wir, und vergebens

hält treuer Sinn die liebliche Gestalt.
Tönt unser Geist voll Sehnsucht in die Ferne?
Umsonst der zarten Saite Ton berührt
den starken angespannten Sinn nicht mehr.

185
Wie findet sich ein weiblich Herz verlohren!


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_251.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)