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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Ein schöner Lenztag, wie Tahitis Flur
Ihn unter stillen Palmen feyernd seegnet,
War Ida’s Leben, dem auf jeder Spur

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Die leichte Fröhlichkeit umkränzt begegnet. –


Doch ah! den düstern Schleyer wirft der Schmerz
Auf ihrer Jugend lachende Gebilde!
Der Tag erlischt! – ihr stillverblutend Herz
Steigt mit der Mutter in die Nachtgefilde.

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Wer klagt ihr nach, der holden Dulderinn,

Mit Orpheus Tönen aus zerrißner Seele!
Dir, stille Nacht, goß sie ihr Leiden hin,
Du sangst in ihre Schmerzen Philomele!

Preiß dir, der du mit Thau die Fluren labst,

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Wenn jeder Halm im matten Sterben schmachtet,

Preiß dir, daß du der Menschheit Thränen gabst,
Wenn Todesdürre ihren Geist umnachtet. –

Am trüben Himmel schwebt im matten Schein
Die Wehmuth sanft auf thauendem Gefieder –

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Die Welt erwacht! Da stieg im Frühlingshain

Die Liebe mit der Tröstung Lispeln nieder.

Triumph! mein Lied! Triumph! Nein! sing’ es nicht,
Was schauernd mir durch jede Nerve bebet,
Mich unergreifbar, wie der Sonne Licht,

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Und unsichtbar, wie Blumenduft, umschwebet.


Ein stummer Priester dir, Erinnerung,
Wall’ ich in deinem stillen Heiligthume!
Da suchet ihren Freund Begeisterung,
An jeder von ihm aufgepflegten Blume.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)