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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

selbst verschieden und doch mit sich selbst übereinstimmend, wie die Spannung eines Bogens oder die Harmonie einer Leier. Es wäre doch höchst ungereimt zu sagen: in der Harmonie sey Verschiedenheit, oder ihre Theile fahren fort, verschieden zu bleiben. Vermuthlich wollte er also nur sagen: die Tonkunst bringe aus hohen und tiefen Tönen Harmonie hervor, indem sie diese an sich verschiedenen Töne in Uebereinstimmung bringt; denn aus hohen und tiefen Tönen, die nicht zusammenpassen und nicht übereinstimmen, kann keine Harmonie entstehen. Eben so entsteht auch der Rythmus aus schnellen und langsamen Zeitmaaßen – Dingen, die ganz verschieden an sich, aber in Uebereinstimmung gebracht sind. Diese Uebereinstimmung in Tönen und Zeitmaaßen bewirkt aber die Tonkunst durch einerley Operation, wie die Heilkunst, in dem sie wechselseitige Liebe und Eintracht hervorbringt. Und die Tonkunst ist auch nichts anders, als die Wissenschaft der Uebereinstimmungen in Absicht auf Harmonie und Rythmus. Diese wechselseitigen Uebereinstimmungen in einer schon angelegten Harmonie und in einem schon vorhandenen Rythmus zu entdecken, ist eben keine so schwere Aufgabe [1]. Eine schwerere, die mehr


  1. Der Zusaz: „hier giebt es auch nicht zweyerley Liebe,“ der hier im Original steht, ist ohne Zweifel ([S. Schütz. Lect. Plat. P. 1.]) wieder [204] ein Glossem, wodurch sich vielleicht der Glossator selbst erklären wollte, warum es leicht sey, in den Verhältnissen der Harmonie und der des Rhythmus, das sich liebende zu finden. Denn daß Eryximachus jenen Gedanken – der freylich nach seiner eignen Ankündigung der herrschende in seiner Rede ist – so gezwungen hieher gezogen haben sollte, ist um so unwahrscheinlicher, da dieser Theil der Allegorie gleich nachher besonders aufgeführt wird.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_203.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)