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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

andern Völkern außer Griechenland, wird es eben so ohne Einschränkung für unerlaubt gehalten. Es ist auch leicht begreiflich, wie dies nicht anders kommen kann. Wo der Wille des Despoten Gesez ist, da muß dies noch weit mehr, als selbst Philosophie und Gymnastik, verboten seyn. Denn was ist dem Interesse der Tyrannen gefährlicher als große Gesinnungen und enge Freundschaftsbündnisse ihrer Unterthanen? Und was erzeugt sicherer, als die Liebe, diese edeln Früchte? Eine traurige Erfahrung hat dies auch die Tyrannen von Athen gelehrt. Durch Aristogitons Liebe und Harmodius treue Gegenliebe allein ward ihre Herrschaft zertrümmert. – Jenes einfache Gesez in Rüksicht der Liebe scheint also allerdings verdächtig. Wo das Erwiedern der Liebe schlechthin verboten ist, da darf man immer Verfall der Nation, despotische Herrschsucht der Regenten und sklavische Feigheit der Unterthanen; wo es schlechthin erlaubt ist, Stumpfheit des Geistes bey dem Volke, das einem solchen Gesez unbedingt huldigt, vermuthen. Richtiger denkt man darüber in Athen. Aber unser Gesetz ist auch, wie gesagt, nicht so leicht zu fassen. Bey uns hört man so oft: es sey unschicklich, seine Liebe nicht öffentlich zeigen, sondern heimlich halten zu wollen; es sey anständiger, edle und vornehme Jünglinge zu wählen, und sich nicht durch Schönheit oder Häßlichkeit

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)