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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

begangen, oder aus Feigherzigkeit Mißhandlung geduldet hätte, wird weit weniger vor dem Anblick seines Vaters, oder seiner Freunde, oder irgend eines anderen Menschen sich scheuen, als vor dem Anblick seines Geliebten. Eben so schämt sich vor dem Liebenden der Geliebte, wenn er sich des Vorwurfs einer schändlichen Handlung bewußt ist. Könnte je ein Staat oder eine Armee aus lauter Geliebten und Liebenden bestehen, wie könnten sie vortreflicher berathen seyn, als durch diese Menschen, die vor jeder unedlen Handlung zurück beben, und im Guten mit einander wetteifern. In einer Schlacht würden sie, wenn ihre Anzahl auch noch so klein wäre, durch Vereinigung der Kraft – um mit einem mal alles zu sagen – alles überwinden. Eher vor den Augen der ganzen Welt, als vor den Augen seines Lieblings, würde der Liebende sein Glied verlassen oder seinen Schild wegwerfen, lieber würde er einen dreyfachen Tod sterben; und eher würde er seinen Liebling selbst verlassen als einem andern in Gefahr nicht beystehen. Keiner ist so feig, den nicht Amor zum Helden machen sollte. Und was Homer von seinen Helden sagt:

„Ihre Brust erfüllten mit hohem Muthe die Götter“,

das wirkt bey Liebenden die Kraft der Liebe. Für einander zu sterben sind auch nur Liebende

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)