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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Erster Band welcher das erste bis dritte Stück enthält.

     Der Abend ist herab gesunken,
an dieses Lichtquells hohem Rand,

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am Felsen lieg ich feuertrunken,

seh Berge knien im Nachtgewand,
und seh sie tiefer hingesunken,
zu tragen diese Silberwand.
Ringsum ist Ruh der Kräfte, Stille

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im sanftgekrümmten Felsenthal,

das Leben schlummert überal
aus seiner dunkeln Wolkenhülle
blickt einsam nur der Nächte Strahl.
Doch rastlos tönet fort des Rheines starke Stimme,

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es wälzt sich immer neu die nie erschöpfte Fluth.

Ob auch von seinem wilden Grimme
des Sturmwinds müder Fittig ruht,
erlahmen nicht der Wellenhydra Flügel.
Ermatten ist der Kräfte Loos,

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nur dieses Bild, der Gottheit Spiegel,

lebt immer, wirket immer groß.
Nie brach das stolze Wasserschloß,
ob schneller auch als Pfeilgeschoß
die Zeit mit unverhängtem Zügel

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ein Wassermeer durch diese Felsen goß,

ob in Jahrhunderten, die hier vorüber wallten,
auch tausend Stimmen durch einander schallten,
ward ihrer keine athemlos.

     Was für ein Bild ergreift die bange Seele!

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Des Grabes aufgerißne Höhle,
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Erster Band welcher das erste bis dritte Stück enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band1_279.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)