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und Günstling des Kaisers, ein Mann, dessen militärische Leistungen mein Vater zu verhöhnen pflegte, – stand ihm heute als Gegner gegenüber!

Wir ritten weiter. Unterwegs begegnete uns ein Ordonanzoffizier vom Stabe meines Vaters. Er strahlte.

„Das war ein Bravourstück,“ rief er mir schon von weitem entgegen. „Die dreizehnte Division hat einen Marsch hinter sich, der alles in Erstaunen setzte. Natürlich kam die feindliche Kavallerie zu spät und wurde glänzend abgewiesen.“

Ich atmete auf. Vor der Mühle Habichtshorst wehte die Kaiserstandarte. Wir ritten so nah heran wie möglich.

Im nächsten Augenblick brauste und dröhnte es dicht vor uns: unter tausenden von Pferdehufen bebte die Erde, die ganze Kavallerie-Division stürmte zum Angriff, – ein Anblick, der den Herzschlag stocken ließ und jenes Fieber gespannter Erregung auslöste, das den Hazardspieler packt, wenn er die Elfenbeinkugel rollen sieht. Ich vergaß meine Unruhe – den Vater – den peitschenden Regen –, meine Hand, die den Feldstecher vor die Augen hielt, zitterte. Einen Moment trat das Antlitz des Kaisers in mein Gesichtsfeld: seine Augen glühten, und seine Lippen zuckten. Ich begriff plötzlich seine Leidenschaft für solch ein Schauspiel.

Gleich darauf hörte ich Trommeln und Pfeifen: im Sturmschritt rückte die Infanterie von der anderen Seite vor, – sie kam in unzählbaren Massen, wie aus der Erde gestampft, mit Hurra und knatterndem Gewehrfeuer. Ich sah den Fuchs meines Vaters, – da plötzlich ein Signal: Das Ganze Halt!, und still stand der Kampf.

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/429&oldid=- (Version vom 31.7.2018)