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Spuren heidnischen Glaubens.

Die beständige Umwandlung hat natürlich viel neues beigemischt, auf der andern Seite mußte der zu Grund liegende alte Glaube, eben weil er fremd und unverständlich ward, allmählig verschwinden, gleichsam abdorren. Der poetische Trieb bildete daraus etwas sinnlich Verständliches und Ansprechendes, aus welchem aber die Bedeutung nur hier und da dunkel, fast wider Willen, hervor leuchtete, oder, um es bildlich auszudrücken: das Sonnenauge des Geistes wurde auf den farbigen Pfauenspiegel der Dichtung vertheilt. Dennoch läßt sich schon im voraus vermuthen, daß was zurückgedrängt wurde, nicht ganz verloren ging, und ist es hier leichter, etwas mit Wahrscheinlichkeit zu vermuthen, als mit Gewißheit darzuthun, so zeigt doch die nähere Betrachtung noch kenntliche Spuren der frühsten Zeit. Freilich auch nur einzelne, da das zwischengewachsene epische Grün längst den Zusammenhang verdeckt oder zerstört hat.

Schon die Belebung der ganzen Natur kann man als eine fortdauernde Ueberlieferung aus jener Zeit betrachten[1]. Uns ist diese Ansicht nicht befremdend, da wir wissen, daß das Heidenthum
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durch Siegfried von dem Drachenstein erlöst. So unendlich ist die Wiedergeburt lebendiger Ideen.
  1. In der deutschen und nordischen Sprache ist sie merkwürdig ausgedrückt in dem Wort Wicht, Vättur, welches erstlich jedes Wesen, die Natur, alles Erschaffene; sodann einen Geist, das Göttliche; endlich auch: kein Ding, Nichts, bezeichnet.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite XXIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_v_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)