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die Lilien und die Pferde wuchsen mit ihnen. Nun sprachen sie: „Vater, wir wollen uns auf unsere goldenen Rosse setzen, und ausziehen in die Welt.“ Da antwortete er betrübt: „wie will ich’s aushalten, wenn ihr fortzieht, und ich nicht weiß, wie’s euch geht?“ Da sagten sie: „die zwei goldenen Lilien bleiben hier, daran könnt ihr sehen, wie’s uns geht: sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, so sind wir krank; fallen sie um, so sind wir todt.“ Sie ritten fort und kamen in ein Wirthshaus, darin war viel Volk, und als das die zwei Goldkinder sah, fing es an zu lachen und zu spotten. Wie der eine das Gespött hörte, so schämte er sich, wollte nicht in die Welt, kehrte um, und kam wieder heim zu seinem Vater. Der andere aber ritt fort, und gelangte zu einem großen Wald. Und als er hineinreiten wollte, sprachen die Leute: „es geht nicht, daß ihr durchreitet, der Wald ist voll Räuber, die werden übel mit euch umgehen, und gar, wenn sie sehen, daß ihr und euer Pferd golden seyd, werden sie euch todt schlagen.“ Er aber ließ sich nicht schrecken und sprach: „ich muß und soll hindurch!“ Da nahm er Bärenfälle, und überzog sich und sein Pferd damit, daß nichts mehr vom Gold zu sehen war, und ritt getrost in den Wald hinein. Und als er ein wenig fortgeritten war, so hörte er es in den Gebüschen rauschen, und vernahm Stimmen die miteinander sprachen. Von der einen Seite riefs: „da ist einer,“ von der anderen aber: „laß ihn laufen, das ist ein Bärenhäuter, und arm und kahl, wie eine Kirchenmaus, was sollen wir mit ihm anfangen!“ So ritt das Goldkind glücklich durch den Wald, und geschah ihm kein Leid.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_435.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)