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„Mein Vöglein mit dem Ringlein roth
     Singt Leide, Leide, Leide;
Es singt dem Täublein seinen Tod,
     Singt Leide, Lei – Zicküth! Zicküth! Zicküth!“

Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang Zicküth! Zicküth! Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum, und schrie dreimal Schu – hu – hu – hu! Joringel konnte sich nicht regen; er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter; die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte, krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager, große rothe Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall, und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort, endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme: „grüß dich, Zachiel! wenns Möndel ins Körbel scheint, bind los, Zachiel, zu guter Stund!“ Da wurd Joringel los; er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat, sie möchte ihm seine Jorinde wieder geben; aber sie sagte, er solle sie nie wieder haben, und ging fort. Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. Uu! was soll mir geschehn? Joringel ging fort und kam endlich in ein fremdes Dorf; da hütete er die Schafe lange Zeit. Oft ging er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei; endlich träumte er einmal des Nachts, er fänd eine blutrothe Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war;

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_373.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)