in eine unterirdische
Höhle, in der viel tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten.
Etliche waren groß, etliche halb, etliche klein; jeden Augenblick verloschen einige und brannten
neue wieder auf, also daß Flämmchen hin und her zu hüpfen schienen. „Siehst du, sprach der
Tod, das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halben Eheleuten
in ihren guten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch haben auch Kinder und junge
Menschen oft nur ein kleines Licht. Ist’s abgebrannt, so ist ihr Leben zu Ende und sie sind mein
Eigenthum.“ Der Arzt sprach: „zeige mir nun auch mein Licht.“ Da deutete der Tod auf ein ganz
kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: „siehst du!“ Da erschrak der Arzt und
sprach: „ach, lieber Pathe, zündet mir ein neues an, damit ich meines Lebens erst genießen kann,
König werde und Gemahl der schönen Königstochter.“ „Ich kann nicht, antwortete der Tod, erst
muß ein’s verlöschen, eh’ ein neues anbrennt.“ „So setzet das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist;“ sprach der Arzt. Da stellte sich der Tod an, als wollte er seinen Wunsch erfüllen, langte ein frisches großes Licht herbei, aber beim Unterstecken versah er’s,
um sich zu rächen, absichtlich und das Stückchen fiel und verlosch. Da sank der Arzt mit um, und war nun selbst in die Hand des Todes gefallen.
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_218.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)