Seite:De Heimatlos (Spyri) 089.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und die roten Oleanderblumen funkelten im lichten Sonnenschein. In Silvios Stube war es ganz still; denn die Mutter war draußen, um Trauben und Feigen zum Abend hereinzuholen. Silvio lauschte auf Ricos Tritt, denn es war die Zeit, da er gewöhnlich kam. Jetzt ging das Pförtchen auf am Zaun; Silvio schoß auf. Ein langer schwarzer Rock kam hereingewandert, es war der Herr Pfarrer. Diesmal kroch Silvio nicht ins Loch; er streckte seine Hand, so weit er konnte, dem Herrn Pfarrer entgegen, lange eh' dieser nur halbwegs im Garten angekommen war. Der Empfang gefiel ihm aber; er trat gleich in die Stube ein und an Silvios Bett hin, obschon er die Mutter hinten im Garten sah, und sagte: „So ist's recht, mein Sohn, und wie steht es mit der Gesundheit?“ – „Gut“, entgegnete Silvio schnell. Er schaute in höchster Spannung den Herrn Pfarrer an und fragte dann halblaut: „Wann kann der Rico gehen?“

Der Herr Pfarrer setzte sich an dem Bett nieder und sagte mit feierlichem Ton: „Morgen um fünf Uhr wird der Rico reisen, mein Söhnchen.“

Frau Menotti war eben eingetreten, und nun ging es an ein Fragen und Verwundern von ihrer Seite, daß der Herr Pfarrer Mühe hatte, sie zu beschwichtigen, damit er ungestört seinen Bericht auseinanderlegen könnte. Es gelang ihm endlich, und Silvio hielt seine Augen auf ihn geheftet wie ein kleiner Sperber, als nun die Erzählung kam.

Der Herr Pfarrer kam eben von Bergamo her, wo er zwei Tage zugebracht hatte. Da hatte er mit Hilfe seiner Freunde einen Roßhändler ermittelt, der kam schon seit 30 Jahren jeden Herbst nach Bergamo und kannte alle Wege und Gegenden von da bis noch weit über die

Empfohlene Zitierweise:
Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_089.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)