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Sonne einen glänzenden Streifen über den ganzen Fußboden hinwarf und das Herz des Bübleins fröhlich machte. Neben dem Bettchen standen zwei kleine Krücken, und von Zeit zu Zeit nahm die Mutter den Kleinen aus seinem Bett und leitete ihn auf den Krücken ein paarmal die Stube auf und nieder, denn er konnte weder gehen noch stehen; seine Beinchen waren völlig lahm, er hatte sie nie gebrauchen können.

Als Rico in die Tür trat, schnellte sich das Büblein empor an einer langen Schnur, die von der Decke bis auf sein Bett herunterhing, denn es konnte nicht aus eigener Kraft aufsitzen. Rico trat herzu und schaute das Büblein schweigend an. Es hatte ganz dünne Ärmchen und kleine magere Finger und ein so kleines Gesicht, wie Rico nie an einem Buben gesehen hatte, und aus dem Gesichtchen heraus schauten zwei große Augen den Rico ganz durchdringend an, denn das Büblein, das wenig Neues vor Augen sah und nach viel neuen und nie gesehenen Dingen dürstete, schaute alles ganz scharf an, das auf seinen einsamen Weg kam.

„Wie heißest du?“ fragte das Büblein jetzt.

„Rico“, war die Antwort.

„Und ich Silvio. Wie alt bist du?“ fragte es weiter.

„Bald elf Jahre alt.“

„Und ich auch bald“, sagte das Büblein.

„Ach, Silvio, was du sagst“, fiel die Mutter ein; „noch nicht völlig vier bist du, so schnell geht's nicht.“

„Spiel wieder!“ sagte nun der kleine Silvio.

Die Mutter setzte sich an ihren Platz neben dem Bettchen, und Rico stellte sich etwas weiter unten hin und fing

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_070.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)