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mehr von sich gab. Jetzt fiel mit einem Male die ganze Sängerherde einen halben Ton hinunter, da wurde die Geige auch unsicher und fiel nach, und die Sänger fielen noch tiefer, und man kann gar nicht wissen, wie tief hinunter alles miteinander gefallen wäre, — aber jetzt warf der Lehrer die Geige auf den Tisch und rief erzürnt: „Was ist das für ein Gesang! Ihr unvernünftigen Schreier! Wenn ich doch wissen könnte, wer mir so falsch singt und einen ganzen Gesang verdirbt!“

Da sagte ein kleiner Bube, der neben Rico saß: „Ich weiß schon, warum es so gegangen ist; allemal geht es so, wenn der Rico aufhört zu singen.“

Dem Lehrer war es selbst nicht so ganz unbekannt, daß die Geige am sichersten ging, wenn Rico fest mitsang.

„Rico, Rico, was muß ich hören“, sagte er ernsthaft, zu diesem gewandt. „Du bist sonst ein ordentliches Büblein, aber Unachtsamkeit ist ein großer Fehler, das hast du jetzt gesehen. Ein einziger unachtsamer Schüler kann einen ganzen Gesang verderben. Jetzt wollen wir noch einmal anfangen, und daß du aufpassest, Rico!“

Nun setzte Rico mit fester, klarer Stimme ein, und die Geige folgte nach, und alle Kinder sangen aus allen Kräften mit, so daß es ganz herrlich anzuhören war bis zum Schluß. Da war der Lehrer sehr zufrieden und rieb sich die Hände und tat noch ein paar feste Striche auf der Geige und sagte vergnüglich: „Es ist auch ein Instrument danach.“

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_012.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)