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großen Lückenbüßer betrachtet, der verdecken soll, daß Irenikus zur eigentlichen politischen Geschichtschreibung unfähig war, so unfähig, wie es sicherlich auch Celtis gewesen wäre.

Nicht als ob es ihm an politischen Gedanken fehlte. Auch wenn wir zu solchen die breit ausgesponnene Bebelsche Idee von Deutschland als dem rechten Herrn aller Völker nicht rechnen[1], bleibt mancherlei übrig. Irenikus hat, trotzdem er maximilianisch denkt, wie nur einer, doch den föderalistischen Aufbau des Reichs scharf hervorgehoben, er betont, daß auch kleine Fürsten durch Wahl zur deutschen Krone gelangt seien, und gibt eine ziemlich vollständige Aufzählung der Streitigkeiten um die deutsche Krone, denen erst die feste Ordnung des Kurfürstenkollegs ein Ende gemacht habe. Und da er die Entstehung des Kollegs unter Otto III. nicht bestreitet, so nimmt er für Karl IV. wenigstens die weitere Ordnung in vier Gaue, vier Städte usw., also die Grundlage der sogenannten Quaternionentheorie, in Anspruch.[2] Auch die Frage über das Verhältnis von Papsttum und Kaisertum berührt Irenikus und er meint, die Kaiser hätten das Recht der Papstwahl, das ihnen ursprünglich zustand, freiwillig aufgegeben, um sich nicht in göttliche Dinge zu mischen.[3]

Aber Irenikus hat die Gelegenheit geflissentlich vermieden, eine geschichtliche Darstellung dieser Verhältnisse zu geben. Es wäre dann eben nicht mit einigen Bemerkungen getan gewesen, wie etwa, daß die Gründe für den Abfall Heinrichs des Löwen von Barbarossa in seinem „Horchen auf die Volksmeinung“ zu suchen seien, oder daß einige deutsche Herrscher, von den Päpsten verdammt, sich sogleich mit ihnen wieder versöhnt hätten.[4] Jedes weitere Ausführen dieser Stellen hätte ihn vielmehr mit seinen Lieblingsideen: Germani inter se fratres, Germani vere christianissimi in Widerspruch gebracht.

Denn Irenikus, der sonst vor Widersprüchen in Einzelangaben durchaus nicht zurückschreckt, wird konsequent, wo es sich um diese Lieblingsideen handelt, und nur da gewinnt er auch historischen Zusammenhang. So hat er vielleicht sein Wirkungsvollstes in dem sechsten Buche mit den Völkerwanderungskämpfen geboten. Denn hier ist die Pirckheimersche Anregung, die Eroberung Europas durch die germanischen Stämme zu zeigen, zu einem Triumphgesang auf das besiegte Rom gesteigert.[5] Hier ist mehr von blindem Patriotismus als selbst bei Bebel. Irenikus glaubt mit diesem, daß alle römischen und griechischen Quellen nur einen Teil des deutschen Ruhmes künden, er verwirft Claudian und die Panegyriker, obgleich er sie beständig zitieren muß, als kaiserliche Schmeichler, und Ammian kommt nicht


  1. [280] 98) Ich bemerke, daß Irenikus natürlich die ganze Diskussion über den Imperatornamen kennt, s. Exegesis III, 29, wo auch der Briefwechsel Wolff-Beroaldo zitiert ist.
  2. [280] 99) Charakteristisch für die Liederlichkeit der Komposition ist der Widerspruch zwischen Exegesis III, 33, wo er seine Zweifel an der Einsetzung der vier duces unter Gregor V. ausspricht, und III, 101 Epilogus ad lectorem.
  3. [280] 100) Exegesis III, 3: Haec ideo scripsimus, ne Itali omnem sibi in papa eligendo facultatem ut propriam persuadeant. Zum Gedankengang auch II, 11 [Germani merito dicuntur christianissimi] und für die Gedankenanregung Bebel, Quod imperator Romanorum iure sit christianissimus dicendus [auch im Schardius redivivus I, 116] mit politischer Spitze gegen Frankreich.
  4. [280] 101) Für Heinrich den Löwen Exegesis III, 60 und für die Konflikte mit den Päpsten III, 33: Inter praedictos imperatores praeterea (quos genealogiae inseruimus) quidam excommunicationis notam incurrerunt, veluti Cunradus ille, qui, referente Lupoldo, Franconiae ducatum affectans a divinis ductu papae relegatus est. Nec desunt, qui idem de quodam Henricorum afferant. Ludovicus praeterea ac Fredericus II a summis pontificibus damnati statim se cum eisdem composuerunt.
  5. [280] 102) S. besonders die Querela cuiusdam Romani contra auctorem mit seiner Excusatio in V, 27; sodann VI, 18 [Eroberung durch Odoaker]: Quis tibi haec, Roma? Unde augustorum tuorum nomen universo orbi venerabilissimum exitum tam miserandum universo orbi horrendissimum anno salutis DXV traxit? In duobus ferme annis XII imperatoribus partim occisis orbata imperatoris nomen adeo odiosum fecisti, ut nullus sibi vendicare id ausus fuerit. Haec tibi Germanus intulit, haec Odoacer, quem Germanum lib. III ac Rugum diximus. Huius Odoacri terribilitate perculsa est tota urbs et obvia facta, honores exquisitissimos ac ultra mortales germano homini ostendit regemque eum salutavit. Dazu VI, 20 [Verwüstung Roms durch Totila]; O Roma gentium domina, semper Germanis infesta quis te afflixit? Unde totius orbis parens tanta dispendia sumpsisti? Anne a Germanis? Cur ergo virtutem Germanorum ac fortitudinem toties experta ac solius illorum debitam Germanis belli portionem denegas? Fuerunt ex te historici, qui plus aliis terrarum populis (quae belli fuerant) quam Germanis concesserunt, Germanos invidia ducti etiam opinione belli exuerunt. Quis te autem toties vacuam reddidit? Ac penitus civibus eviduavit? Non antea Parthi, non Poenus, nulli licuit penitus Romam discindere ferro, et Germanis id datum est. Reliquis dare salutem consuevisti, a Germanis nec tuam servare.