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Christophorus Persona übersetzten Agathias mit seiner griechischen Handschrift gar nicht gemerkt zu haben.

Versuchen wir nun zu würdigen, was Irenikus mit diesem ungeheuren Material geschaffen hat, so müssen wir zunächst die ganze Urgeschichte preisgeben. Denn diese ist das Abenteuerlichste, was die deutsche humanistische Geschichtschreibung bis dahin hervorgebracht hatte. Die Phantasien von Celtis und Bebel sind in ihr vereinigt und überboten. Es scheint zudem, daß hier der Pirckheimerbrief eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Denn indem Pirckheimer Irenikus aufforderte, die Goten dem Neide der Italiener zu entreißen, die sie nur als Geten kennen wollten, bat er selbst, wie sein Hinweis auf Herodot zeigt, Geten und Skythen für das Gemälde der germanischen Urzeit in Anspruch genommen. Das aber kam Irenikus nur gelegen, denn jetzt boten ihm der Σκύθης des Lukian, die Δειπνοσοφισταί des Athenaios und so manche andre auch Farben für die Ausmalung der ältesten Zustände der Germanen, und es hat den Anschein, als habe er keine „Gräcien“ lieber als diese in sein Werk gesetzt. „Die Goten sind also Germanen,“ sagt er am Schluß einer längeren Erörterung, „und wenn die Italiener sie Skythen nennen, so wird man sagen müssen, daß wir alle eben Skythen und Galater gewesen sind, ehe der Name Germanen Wurzel faßte.“ Auch einer andern Lieblingsmeinung des Irenikus kommt diese Gotentheorie entgegen, sie hilft ihm Skandinavien, auf das die Reiseberichte seine besondere Aufmerksamkeit gelenkt haben, als die Völkerwiege überhaupt zu erweisen, und der erste Stammbaum, der sein Werk schmückt, ist ein Arbor gentium a Scandia profectarum; hält man ihn mit dem zusammen, was später Rhenanus über diesen Punkt zu sagen wußte, so sieht man, daß auch der Humanismus schon zu dauerhafteren Ergebnissen kommen konnte.

Es bedeutet unter solchen Umständen wenig, daß Irenikus gelegentlich eine ganz klare Beweisführung, etwa aus den germanischen Königsnamen bei Prokop und Jordanes, bietet,[1] daß er im Gegensatz zu seinen sonstigen Gleichsetzungsbestrebungen zwischen gallischen und germanischen Sitten scharf unterscheidet. Solche Dinge finden sich nur, wo sie ihm passen. Gute Erkenntnisse wie die, daß die Germanen erst spät in den Gesichtskreis der alten Welt getreten seien, werden unwirksam gemacht durch das Bestreben, die Germanen nun eben unter anderen Namen zu finden. Die Kritik der Quellen, die er seinen Ausführungen voranstellt, zeigt ihn im Besitz einer vollständigen Einsicht davon, was Mela, Strabo, Solinus und Ptolemäus


  1. [278] 81) Exegesis I, 31: Plura etiam vocabula germanica tunc in Gothorum usu fuisse apud Jornandem videmus et demum propria eorum nomina Germanos Gothos fuisse produnt, eorum enim semper reges Berich, Filmer, Valamir, Deinterich, Eurich, Ermanrich, Gebrich, Aorich, Gunderrich appellabantur.