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aber sie wäre schwerlich in den Gedanken Biondos ausgelaufen, daß die Majestät des alten Rom in dem päpstlichen Pius’ II. wieder erstanden sei, der Archetypus hätte vielmehr seine Ergänzung gefunden in einer Nachbildung des zweiten großen Werkes des Biondo: der Italia illustrata sollte eine Germania illustrata entsprechen.

Denn nicht lange vor der Zeit, wo der Archetypus seine neue Bezeichnung erhielt, finden wir auch den neuen Ausdruck für die historisch-geographischen Pläne des Celtis zum erstenmal. Er steht in der Widmung, mit der er im Frühjahr 1495 seine Norimberga dem Nürnberger Rat verehrte. Das Büchlein selbst sollte ein „praeludium quoddam Germaniae illustratae, quae in manibus est“ sein, ein größerer Einschub über den hercynischen Wald konnte als Probe der Germania selbst gelten; nach der Schlußbemerkung des Kapitels wäre denn auch der „topographische Teil“ der Germania, der von den Sitzen der deutschen Stämme ausführlicher handeln sollte, damals schon vollendet gewesen.[1]

Suchen wir uns nun aus diesem „Vorspiel“ einen Begriff von dem großen Werke zu machen, das Celtis plante, so dürfen wir die höchsten Erwartungen hegen. Denn die Norimberga ist ein Meisterstück, dem auch die spätere humanistische Produktion in Deutschland nichts an die Seite gesetzt hat. Sie ist ebenso ausgezeichnet durch die Leichtigkeit der Form, wie durch die Vielseitigkeit des Inhalts und Schärfe der Beobachtung. Man hat mit Recht hervorgehoben, daß es Celtis gelungen ist, die ihm wie eine Heimat vertraute Stadt mit den Augen eines Fremden zu sehen, der tausend Dinge bemerkt, die der Einheimische übersieht. Das gilt für Tracht und Gebaren der Bürger, für Stadtanlage und Hausbau ebenso gut, wie für die Bemerkungen über Volkscharakter und Stadtverfassung, und man dürfte nicht anstehen, dies Werkchen als den Gipfel der gesamten humanistischen Geschichtschreibung in Deutschland zu bezeichnen – wenn es ein geschichtliches wäre. Aber gerade das ist die Norimberga viel weniger als andere Erzeugnisse derselben Gattung, viel weniger auch als es Biondos Städtebeschreibungen in der Italia illustrata waren. Man merkt dem Büchlein nicht an, daß eben erst in Nürnberg ein erbitterter Streit über die Gründungsfabel gespielt hatte, es hat nicht die geringste Berührung mit Meisterlins Chronica Neronpergensium, die sieben Jahre vorher vollendet worden war. Wo Celtis historische Bemerkungen macht, beziehen sie sich fast alle auf die im Dämmer liegende Urzeit. Wir sehen, daß er sich die ältesten Bewohner – es sind vor dem Hunneneinfall flüchtende Noriker


  1. [269] 9) Erste Fassung nur handschriftlich in Nürnberg und München. Ich benutze clm. 951. Daselbst auch in der Schlußschrift das Datum der Aufnahme in die Ratsbibliothek: März 1495. Zur Würdigung Hartmann l. c. 34, Bezold in Sybels HZ XLIX, 37 ff. E. Schmidt, Dte. Volkskunde i. Zeitalter des Humanismus u. d. Reformation 45 ff. Zur Würdigung der Gattung J. Neff, Helius Eobanus Hessus Norimberga illustrata [Lat. Litteraturdenkmäler des XV. u. XVI. Jhdts., edd. Herrmann u. Szamatólcki XIII], doch scheint mir die Einordnung der Norimberga des Celtis in das kulturhistorische Schema im Gegensatz zum geographischen nicht gelungen.