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VI.
Germania illustrata.

„Zwei Dinge“, sagt Karl Hagen einmal[1], „sind es, welche die deutsch historischen Studien der Zeit des Humanismus ins Dasein riefen. Erstens das Bestreben, die Geschichte in bezug zu der Gegenwart, zu der Mitwelt zu setzen, zweitens die Kritik der Quellen.“

Wir sind bei der Verfolgung der kritischen Versuche des Humanismus fast bis an das Ende der von ihm beherrschten Periode gelangt, wir müssen zu den Anfängen des kritischen Humanismus zurückkehren, um das zweite Bestreben seiner Jünger, die Geschichte in bezug zu der Gegenwart zu setzen, zu schildern. Denn das will die Germania illustrata. Es sind nur Gedanken, Versprechungen, Ansätze und ein paar verfehlte Versuche, von denen hier zu reden sein wird, aber sie sind ebenso wertvoll für die Erkenntnis der eigentlichen Tendenzen humanistischer Geschichtschreibung wie die vollendeten Werke.

Wir sahen, daß der Plan zur Germania illustrata von Celtis ausgegangen ist, und wir können auch versuchen zu bestimmen, wann er bei ihm Gestalt gewonnen hat. Es ist die Zeit seines zweiten Nürnberger Aufenthalts, die Jahre 1491–95[2], eine wichtige Zeit für Celtis wie für Nürnberg. Nach langen Wanderjahren scheint für Celtis die Zeit gesammelten Schaffens an einer ruhigen Stätte gekommen, noch ist es unentschieden, ob in Ingolstadt als Dozent an der Universität oder in Nürnberg, vielleicht als Leiter der neuzuerrichtenden Poetenschule[3], jedenfalls im Dienste der Verbreitung humanistischer Bildung im neueren Sinne. Von beiden Seiten kommen ihm Anstöße, das Erwanderte und Erforschte in eine Form zu bringen. Die Ingolstädter Antrittsrede vom 31. August 1492 weist darauf hin, wie schändlich es für die Deutschen sei, den Land- und Sittenschilderungen, die Griechen und Römer von ihnen entworfen haben, nichts aus eigener Kenntnis an die Seite stellen zu können: Niemand beschreibt die Kriege der Deutschen, auch der „Autor der neuen Dekaden“,


  1. [269] 1) Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter I, 293.
  2. [269] 2) Vgl. darüber B. Hartmann, Konrad Celtis in Nürnberg i. d. MVG Nürnbergs VIII, 1–68.
  3. [269] 3) Bauch, Die Nürnberger Poetenschule i. d. MVGNürnbergs XIV, 1–64.