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hilft aber nicht zu klaren Anschauungen[1], eigentlich philologische Beobachtung im Sinne des Rhenanus liegt Althamer ganz fern.[2] Aber auch seine Geschichtsauffassung teilt er nicht; er weiß wohl, daß nur die Alten deutsches Altertum überliefert haben, aber er setzt im Sinne Bebels sein „licet inviti“ hinzu, das römische Reich ist ihm doch nur die Vorstufe zu dem herrlicheren deutschen.[3] „Wir haben das römische Reich beherrscht, niemals dies Reich uns.“ Und wenn wir dann bei Althamer in der neuen Bearbeitung des Kommentars einen Panegyrikus auf den „Sachsen Arminius“, den Brutus Deutschlands finden, wenn uns Ariovistus als König Ehrnvest, Ulixes als Ylsing, Arminius als Herman begegnet, wenn er „deutsche Könige“ vor Karl dem Großen zusammensucht und sich fragt, seit wann wohl die Deutschen eigene Münzen geschlagen hätten, so sehen wir ihn in den Spuren Aventins und Huttens.[4] Es ist bedeutsam, daß er gerade an die Varusschlacht, die er jetzt richtig in den Teutoburger Wald verlegt, die Aufforderung zur systematischen Durchforschung des deutschen Bodens knüpft[5] und daß er noch einmal, zwei Jahre nach Aventins Tode, den Plan der Germania illustrata fast mit Aventins Worten entwickelt.[6]

Was aber die Lektüre des Tacituskommentars heute noch interessant macht, das sind doch nur die Beziehungen Althamers auf die Gegenwart. Man sieht vielleicht an keinem anderen Werke klarer, wie der Rückblick, zu dem Tacitus anregte, diese Generation zum Umblick trieb. Schon die Ausgabe von 1529 hatte solche Gegenwartsbeziehungen gegeben, aber sie waren meist moralischer Art, Ausrufe, die der alten Sittenreinheit und Einfachheit die Zustände der Gegenwart entgegenstellten, Entschuldigungen, wenn Tacitus einmal, wie bei der Schilderung der Trunksucht, doch zu weit zu gehen schien. In solchen Dingen trafen sich der Humanist und der Pfarrer von selbst. Die zweite Ausgabe des Kommentars aber will mehr bieten, sie stellte, ähnlich wie es Johannes Boemus in seiner Sittengeschichte bei Deutschland, Frankreich und Italien versucht hatte, nur in mehr statistischer Art, aber doch auch mit volkskundlichen und volkswirtschaftlichen Angaben neben das alte Bild der Landschaften das neue, suchte zum Lob der germanischen Tapferkeit als Parallele die Helden der Gegenwart, nannte zu den Worten: literarum secreta .. ignorant als Kontrast die literarischen Größen des humanistischen Deutschlands und nahm aus der Erwähnung der Siedelung, ut fons, ut campus, ut nemus placet, Gelegenheit – allerdings wieder einer Andeutung des Rhenanus nachgehend und schwerlich ohne Beeinflussung durch


  1. [267] 199) S. Tacitus II, 278, wo er die Konjektur des Rhenanus: Vendigni für Reudigni (Germania c. 40) annimmt und dann Wemding im Rieß von ihnen ableitet.
  2. [267] 200) Ein paar Ausnahmen Tacitus I, 9; II, 106, 126.
  3. [267] 201) Tacitus II, 155, 262.
  4. [267] 202) l. c. 239: De hoc (Arminio) elegantissimum dialogum conscripsit Ulrichus Huttenus ex Taciti historia, vgl. 247, 250. Für Aventin die Nachrufe II, 36 und 195. Bruschius nennt Althamer als Freund Aventins [Aventin WW, I, 304].
  5. [267] 203) l. c. 253: Quantum igitur ego ex Taciti scriptis possum colligere, inter Cassulam Hessiae urbem et Padebornam Westfaliae Romanorum strages facta est. Eius orae cultores digito monstrare poterunt saltum Teutoburgiensem et pugnae locum, vicinas denique paludes, quarum sunt multa in Westfalia, si Taciti historiam adhibuerint. Et certe singularum nationum eruditi in hoc incumbere deberent, ut quo loco res memorabiles vel a maioribus nostris vel exteris gestae fuissent, investigarent: ita enim et patriam et historias illustrarent... In Germania maxime inferiore praeclara facinora Romani gesserunt; in Batavis, Frisiis, Chaucis, Bructeris, Cheruscis, Chatthis, inter Rhenum et Albim; hic si eruditi patrias regiones lustrarent, fluviorum ripas veteraque monumenta inspicerent, collegiorum atque coenobiorum bibliothecas excuterent, invenirent haud dubie, quibus ornarent patriam et historias illustrarent.
  6. [267] 204) Tacitus II, 282 f.