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von dem ersten, – aber er weiß auch, daß das Christentum damals nicht tief ins Innere Deutschlands dringen konnte, schon wegen der Wildheit der Bewohner, und so erscheinen Bonifatius, Amandus, Arbogast zwar nicht als erste Begründer christlicher Religion, aber doch als die Schöpfer der ersten Ordnungen. –

Es ist höchst merkwürdig, welche Rolle in diesem Abschnitt der Geschichte des Rhenanus die Schlacht bei Tolbiacum spielt. Dies Ereignis, das sonst in historischen Darstellungen höchstens aus Anlaß der Taufe Chlodwigs erwähnt wurde, ist ihm geradezu ein Wendepunkt der deutschen Geschichte. Kurz vor der Schlacht sind die Alemannen auf dem Gipfel ihrer Macht. Niemals war ihr Staat blühender, nie herrschten sie weiter. Den Ort der Schlacht sucht er im alten Ubierland, also auf fränkischem Gebiet[1], und sieht schon darin einen Beweis von dem vordringenden Mute der Alemannen. „Vide mirabilem gentis audaciam“ ruft er aus. Die Schlacht selbst aber findet er nicht weniger bedeutsam wie den Kampf zwischen Puniern und Römern um die Herrschaft. Es ist kein Zweifel, daß er dies Ereignis vom Standpunkt des alemannischen Lokalpatriotismus aus betrachtet. Im zweiten Kommentar zur Germania wird dies noch deutlicher. Hier kommt er, ohne daß ihm der Tacitustext eine Veranlassung böte, noch dreimal auf die „Unglücksschlacht“, die „ungeheure Niederlage“, „das denkwürdige Treffen“ zurück und knüpft daran Betrachtungen, die wir bald für seine eigene Geschichtsauffassung, später auch für die Vadians werden wichtig werden sehen. –

Das Alemannenreich ist also vergangen, es bleibt die Ausbreitung des Frankenreichs zu schildern. Auch hier geht Rhenanus geographisch vor, so daß ein Kreis von den Burgunden bis zu den Slaven beschrieben wird. Bei jedem Stamm sind alle Ereignisse bis zu seiner endgültigen Unterwerfung in kurzen Sätzen zusammengefaßt.

Das Ergebnis dieser Frankenherrschaft ist Knechtschaft überall, „omnia redundabant servis“. Der größte Teil der Unterworfenen wird Knechte des Fiskus oder der Kirche. Denn die Frankenkönige stiften überall Kirchen und Klöster, auf daß bei einem neuen Einfall wilder Völker Menschen übrig blieben, die die alte Frömmigkeit wiederbeleben könnten. Wie aber Herren und Knechte lebten, das zeigen die Leges Francorum, wie die kirchliche Ordnung sich erweiterte, ein altes Buch de conciliis antiquis Galliarum[2], wie reich die Kirche durch die Begabungen der Frankenherrscher wurde, beweist ihm der Kirchenschatz von Mainz.


  1. [260] 133) Res Germ. 82: Tolbiacum, qui Ubiorum vicus est.
  2. [260] 134) Für die Leges hat er nicht die Ausgabe Sichards, sondern eine – [261] mehr bietende – Handschrift benutzt; zur Identifizierung Res Germ. 92: extat in volumine legem Francicarum caput Meldensis synodi. (Ist nach freundlicher Mitteilung von Dr. Paul Lehmann die Synode von Meaux von 845). Die Hs. wird doch wohl derselbe vetustus codex de conciliis antiquis Galliarum gewesen sein, aus welchem er ibidem und S. 131 die subscriptiones der Synode von Epaon (von 517) hat.