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der Ammian ihn in den Stand gesetzt hätten, die deutsche Frühzeit anders zu sehen als Celtis und die Seinen. – Anderes kommt hinzu. 1527 schüttet Johannes Sichard seinen „unvergleichlichen Bücherschatz“, die Ergebnisse einer Forschungsreise durch Südwestdeutschland, vor ihm aus.[1] Das sind die deutschen Volksrechte, auf die Rhenanus längst als auf Sprach- und Kulturdenkmäler zugleich aufmerksam geworden war.[2] Daneben ist für ihn nichts wichtiger als eine klare Einsicht in die römische Vergangenheit des Landes. In diesen Jahren muß er die kleineren und größeren Reisen gemacht haben, durch die er der beste Kenner römischer Inschriften auf dem alten Alemannenboden wurde.[3] Bei den Versuchen, diese Einzelfunde zu einem Gesamtbild zusammenzuschließen, stützt er sich zunächst auf das Itinerarium Antonini, das schon 1512 in Paris im Druck erschienen und durch die Anmerkungen des Hermolaus zum Plinius weiter bekannt geworden war, aber er weiß, daß die von Celtis entdeckte Karte, die Peutinger sorgfältig bewahrte, neue Aufschlüsse birgt. Um diese zu gewinnen, ist der zwar bewegliche[4], aber doch in seinem Elsässer Winkel haftende Mann 1530, nachdem andere Versuche, von dem kostbaren Stück Kenntnis zu erlangen[5], vergeblich geblieben waren, nach Augsburg gereist, und hier im Meinungsaustausch mit längst durch Briefe gewonnenen Freunden, im Anblick der Kunst- und Altertumssammlungen Peutingers und Raymund Fuggers, endlich angespornt durch einen neuen bedeutenden Fund, Otfrieds Krist in Freising[6], hat er den Plan gefaßt, die langjährigen Forschungen, soweit sie damals gefördert waren, ans Licht zu geben. 1531 erschienen mit einer Widmung an den römischen König Ferdinand die Drei Bücher deutscher Geschichte.[7]


Dies ist der Gang der Darstellung: Rhenanus hat sich vorgesetzt zu zeigen, woher die Benennungen von Stämmen und Provinzen, wie Germanen, Alemannen, Franken, Sachsen, Germania superior und inferior, Germania magna, Helvetia usw. ihren Ursprung haben. Deshalb will er zunächst Umfang und Grenze des römischen Germanien, dann die Einbrüche der Germanen in das römische Reich, schließlich auch die „Abwanderungen“[8] im freien Germanien schildern. Seinen Standpunkt nimmt er in den Zeiten, wo das Reich der Römer zwar noch unerschüttert dastand, aber die Anstürme der Eroberer bereits begonnen hatten, also in der Zeit der Nachfolger des großen Konstantin, die ihm durch die Notitia dignitatum ja so besonders vertraut geworden war.


  1. [259] 116) Huttich an Rhenanus 1527 nov. 30 (Briefwechsel 373): Scripsisti, mi Beate, de incomparabili librorum thesauro, quem attulerat Sichardus. Vide, ne imponat inscriptiones, ut cum Philippo et Clemente fecerat. De Ammiano non dubito, quin phrasis iudicium faciat, ne fiat impostura. Laudanda essent hominis studium et labor, si rem non ageret suam. Das bezieht sich jedenfalls auf Sichards Ausgabe der Recognitiones Clementis 1526. Über sonstige Ergebnisse der Reise Sichards s. Mandry, Sichard in den Württemberg. Jbb. f. Statistik u. Landeskde. 1872, II, 36; dazu den Brief Gabriel Hummelbergs an Pirckheimer, bei Heumann, Doc. litter. 101. Rhenanus sah bei ihm auch eine Hs. von Cicero Epp. ad Atticum, s. Res Germ. 98.
  2. [259] 117) Schon 1519 plant Rhenanus eine Ausgabe der Leges Pipini et aliorum, wie der Brief des italienischen Buchhändlers Franziskus Calvus zeigt [Briefwechsel 167].
  3. [259] 118) Nachweise seiner epigraphischen Kenntnisse im CIL. XIII, Abt. II, 28*, 48, 57, 164, 304 und öfter.
  4. [259] 119) S. den Brief an Spiegel 1519 (Briefwechsel 194): Pestis cogit nos hic instar cochlearum in hypocaustis latere. Nunc experior non tantum amantibus longos ire dies, sed et biis, qui uni loco velut affixi tenentur.
  5. [259] 120) Michael Hummelberg versucht 1526 sie ihm abzuschreiben, s. Briefwechsel 364 und 366.
  6. [259] 121) Für den Krist s. die Angaben Res German. lib. II, S. 106: Veteres Francos ... Germanica usos fuisse lingua cum innumera alia argumenta probant, tum vero manifeste convincit über ille insignis Evangeliorum Francice, hoc est [260] Germanice versus, quem nos nuper, dum comitia Romani imperii Carolus Caesar celebraret apud Augustam Rhetiae superioris Fruxini in Vindelicis, quam hodie Frisingam appellant, in bibliotheca divi Corbiniani obiter reperimus, nam Livianarum decadum gratia fueramus illuc profecti. Eius codicis hic est titulus: Liber Euangeliorum in Teodiscam linguam versus. Constat autem ex rithmis totus. Atque ut antiquitatem eius tralationis non ignores, deprehendi librum excriptum abhinc annos ferme sexcentos, ut tum compositum credam, cum Christo primum Franci nomen dedere. In fine enim ascriptum erat: Vualdo me fieri iussit. Sigefridus presbyter scripsi. Numeratur autem inter Frisingenses episcopos Vualdo, ni fallor, decimus. – Über die Hs., jetzt cod. germ. mon. 14, s. Kelle, Gesch. d. deutschen Litteratur I, 179.
  7. [260] 122) Bibliographie im Briefwechsel S. 612, Nr. 57. Eingehende und meist auch treffende Würdigung von Horawitz in SBWA. LXXII, 325 ff. Daselbst S. 335 ff. auch ein Verzeichnis der von Rhenanus zitierten Quellen, wo allerdings die Historiae Carausium ein böser Lapsus von Horawitz sind. Auch der Brief Pirckheimers S. 334 ist zu streichen, s. a. u. VI65. Ich zitiere nach der ersten Ausgabe mit modernisierter Orthographie.
  8. [260] 123) Er unterscheidet demigrationes, emigrationes und immigrationes, wenn auch nicht immer konsequent.