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Entwicklung ist wenigstens für ein großes Gebiet festgelegt.

Was nun freilich Rhenanus Tatsächliches in seinem Kommentar bringt, ist wenig. Man merkt, daß es, wie er sagt, ein gelegentliches Diktat ist, das wohl bei der Textrevision in der Druckerei selbst entstand, der Schluß ist gar nur Füllsel auf Wunsch des Faktors.[1] Auch sonst zeigt sich die Jugendarbeit, Zitate aus dem noch ungedruckten Vellejus drängen sich vor die versprochenen aus den Schriftstellern der media antiquitas. Alciats Anmerkungen über Alpen, Donau und Helvetier werden mit scheuer Ehrfurcht wiedergegeben und nur schüchterner Widerspruch angehängt, auch da, wo der Deutsche den Augenschein für sich hat; auch Berosus erscheint noch als unbezweifelter Zeuge. Aber daneben stehen schon Gedanken, deren Fruchtbarkeit sich erweisen sollte: vor allem die scharfe Unterscheidung zwischen der Germania antiqua, die Tacitus kennt, und späterem oder auch früherem Wandererwerb germanischer Stämme; die ebenso starke Betonung, daß die Sprache der alten Gallier von der der Germanen verschieden gewesen ist, während doch die Römer beide Stämme Gallier, die Griechen sie Kelten genannt hätten[2] – ,Haec res non animadversa multis errandi causa fuit’ –; in Andeutung, einem Zitat aus Agathias, auch schon der Gedanke, daß Kultur und Christentum gleichzeitig zu den Germanen gekommen seien. Besonders wichtig aber ist sein Versuch, die germanischen Personen- und Völkernamen aus dem Deutschen herzuleiten und zu erklären. So ist Marbod der Pferdegleiche, die silva Hercynia ist der Harzwald, der mons Arbona – so liest Rhenanus noch statt Abnoba – steckt in Auf der Bar, die Alemannen sind „allerley man“ und die Germanen mag er weder aus dem Gallischen noch aus dem Lateinischen erklären, es ist eine mere Teutonica dictio und heißt „gar man, totus seu robustus vir“.[3] – Man sieht, wie hier der alte Gedanke Wimpfelings, „daß diese Namen uns etwas bedeuten, den andern nicht“, fruchtbar geworden ist. Auch Einzelbemerkungen sind von Bedeutung für den werdenden Kritiker: so die Ablehnung der Fabeln über das Altertum Triers und der Herleitung des Namens Straßburg von Attilas Zerstörung; für die Geschichtsauffassung des Rhenanus ist nicht unwichtig, daß er von der constitutio Imperii Romani, imo tyrannidis spricht. –

Es hat lange gedauert, bis Rhenanus die Gedanken, die der Tacituskommentar enthielt, für reif genug hielt, um sie in einem selbständigen Werk zu vertreten, zwölf Jahre. Wer in diesen Jahren nur


  1. [257] 104) Hactenus Germaniae populos utcumque explicuimus, una atque altera hora dictantes per lusum, non scribentes, et animus erat nihil ultra attingere. Sed quando formularius questus fuit non esse sibi satis annotationum, quo pagellas omnes impleret, adiecimus velut auctarium de historiis, quarum Cornelius meminit in hoc libello, pauca quaedam.
  2. [257] 105) Erörterung im Anschluß an Germania, Kap. 1: Germania omnis a Gallis Raetisque... separatur und Kap. 43: Gotthinos [so liest er] Gallica lingua coarguit. [258] Hier sagt er: Ex hoc loco colligi potest etiam olim aliam Gallorum fuisse linguam, alia[m] Germanorum. Sed quae fuerit Gallorum, non constat. Nam linguam, qua hodie utuntur, certum est esse novam, a Romanis, qui post Julium Caesarem in illis provinciis assidue versati sunt, plurimis ubique deductis coloniis dubio procul acceptam. Unde Gallorum multi linguam suam etiam hodie Romanam vocant: bon romayn. Itaque videtur interisse prisca Gallorum lingua. Siquidem Plinius de quibusdam Gallorum vocabulis loquens ad antiquam Galliae descriptionem respexisse videtur, quam tamen iam inhabitare Germani coeperant, suam loquentes linguam, aut certe Celtarum vocabulum, quod Graecis et Germanum et Gallum significat, Gallis vertendo tribuit, quod Germanorum erat, qui lapsus multis sane accidit. Et notum est satis, Plinium et Graecorum et Latinorum commentarios exscripsisse. Nisi si quis hic per Gallicam linguam pronuntiationis modum intelligere velit, hoc est, ipsum Gallicismum, ut ita dicamus. Sed hoc foret coactius.
  3. [258] 106) [Marbod], qui equi corpus referret, a marck, quod equum significat, et boden, corpus. Hoc enim vocabulo quidam populi adhuc utuntur. De Anglis satis constat [Er meint body]. Die Erklärung von Germani steht im Elenchus, im Kommentar nur eine Abweisung früherer Erklärungen, wobei die Bemerkung über Jordanus von Osnabrück zu beachten ist.